An Paris hat niemand gedacht
aufmachen …« Gretas Stimme fehlte.
Sie schlief später im selben Zimmer, »zu deinem Schutz«, was auch immer sie damit meinte. Das Fenster durfte nicht geöffnet werden, Greta hörte jede ihrer Bewegungen, schreckte im Bett neben ihr hoch.
»Du könntest mich wenigstens einmal anschauen.«
Wozu, wenn sie doch gelöscht ist, nicht mehr da?
Einmal in diesen Tagen schaffte Marta es, das Telefon zu erreichen, den Hörer zitternd abzuheben, die ersten Ziffern von Raphaelas Nummer zu wählen, als Walter dazukam und ihr den Apparat aus der Hand riss.
»Hier werden keine Mätzchen gemacht!«
Beim Abendessen erhob Erika ihr Glas »auf die glückliche Wiederzusammenführung!« Marta erreichte gerade noch rechtzeitig das Waschbecken. Einmal in Erikas fleischiges Gesicht schlagen, das wäre auch nach all den Jahren noch ein Genuss!
Drei Tage sagte sie kein Wort; am vierten wurde sie neben Greta ins Auto gesetzt, die den Wagen sofort anließ, während Richard noch letzte Drohungen durchs geöffnete Fenster brüllte.
Viel später erst wunderte sie sich, warum Richard sie nicht, wie mehrfach angekündigt, persönlich verprügelt hatte, sobald sie in seiner Gewalt war. Weil Greta sich durch ihre stille Anwesenheit
dazwischengestellt hatte? Nein, dann hätte sie wohl auch die Brutalität des Überfalls in Winnerod nicht geduldet. Es passte alles nicht zusammen.
Gretas Hände waren um das Lenkrad geklammert, die Knöchel traten weiß hervor, Marta versuchte nicht hinzusehen.
»Kind, sprichst du mit mir?«
»Setz mich an der nächsten Telefonzelle ab.«
»Ich kann nicht.«
Sie schwiegen sich bis Braunschweig durch. Internat-Antonius-Schule, Richard hatte Kontakte und telefonisch alles geregelt. Man sollte dafür sorgen, dass Marta das Schulgelände nicht verließ, ihr vorerst kein Taschengeld aushändigen, bis sie sich in die Situation eingefunden hatte. Wann das sein würde, entschied er. Marta weiß nicht, wie lange Greta noch in dem Zimmer stand, das man ihr zugewiesen hatte, irgendwann war sie weg.
»Das hier ist kein Gefängnis«, sagte die Erzieherin, als der blaue Ford vom Parkplatz verschwunden war. »Wir hatten nur den Eindruck, es wäre besser für dich, wenn du erst mal bei uns bleibst, deshalb haben wir dich aufgenommen. Wenn du in die Stadt willst, sag beim Pförtner Bescheid, für dich gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen Schüler. Um zwanzig Uhr werden die Hauptportale geschlossen, in Ausnahmefällen kannst du den Schlüssel leihen.«
Manu, mit der sie das Zimmer teilte, fragte, als sie Marta abends in der Dusche sah: »Bist du unter eine Dampfwalze gekommen?«
»So was Ähnliches.«
»Sieht übel aus, die Schulter. Und den Knöchel sollte sich mal jemand anschauen.«
»Kannst du mir ein bisschen Geld leihen?«
»Den ersten Tag da und schon pleite?«
»Muss jemanden anrufen.«
Der Pförtner nickte freundlich und zeigte auf den Münzfernsprecher am Ende der Halle.
»Marta, um Himmels willen, wo bist du?«
Raphaelas Stimme klang beherrscht und wütend zugleich. Ein Fels, auf den Marta kriechen und erschöpft liegen bleiben wollte. Raphaela hatte noch am Tag von Martas Verschwinden die Polizei verständigt, aber die war nach einem kurzen Besuch bei Richard, der ihnen versicherte, alles sei in bester Ordnung, wieder abgezogen. Man könne keine unmittelbare Gefährdung erkennen. Die minderjährige Tochter von den eigenen Eltern entführt, was für ein Tatbestand sollte das bitte sein? Raphaela hatte nicht lockergelassen, Familiengericht und Anwalt verständigt, eine einstweilige Verfügung beantragen lassen. Sie hatte im Dorf eine Zeugin aufgetrieben, die sie so lange bearbeitete, bis sie sich zu einer Aussage bereit erklärte. Wenn es ging, sollte Marta noch einige Tage durchhalten, bis der Beschluss rechtskräftig wäre. Das sei am sichersten. Geld nebst Fahrkarte komme per Express, die Verletzungen solle Marta möglichst sofort von einem Arzt attestieren lassen.
»Schaffst du das? Soll ich kommen? Solange deine Eltern noch das volle Sorgerecht für dich haben, kann ich im Internat nichts ausrichten, aber ich mache mich sofort auf den Weg, wenn du es willst.«
»Geht schon, ich kriege das hin.«
Vermutlich hatte Manu der Erzieherin, deren Namen Marta vergessen hat, etwas gesagt. Jedenfalls vermittelte sie ohne Umstände den Termin bei einem Arzt in der Stadt, als Marta sich weigerte, den Heimarzt aufzusuchen.
»Und du bist sicher, dass du nicht mit mir darüber sprechen
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