An Paris hat niemand gedacht
nicht gesehen, wirklich.«
Lass mich! Sag was! Sprich mit mir oder fluche wenigstens dieses eine Mal, aber schau mich nicht so an.
»Ich bin in Ordnung!«
Paul holt den Verbandskasten, zieht wenig später den Autoschlüssel aus ihrer Hosentasche.
»Ich muss nicht zum Arzt!«
In der Notaufnahme sitzt ein Mann, der sich ein Tuch gegen die Nase presst und leise vor sich hin summt. Sein Oberkörper geht vor und zurück, langsam, wie ein Schiff oder wie ein Baum im Wind. Paul sagt noch immer kein Wort, hält mit beiden Händen Martas Arm, den er mit Kompressen und Mullbinden umwickelt hat. Unterhalb des Daumenballens zeichnet sich ein Fleck ab und dehnt sich langsam aus. Rot und weiß, wie bei dem Mann, der vielleicht ein Baum ist. Sie möchte auch summen, hat Lust, sich neben ihn zu setzen, wagt aber beides nicht.
»Ja, ein Unfall beim Spülen«, hört sie Paul zu einer kleinen
Frau mit spitzem Gesicht sagen, die sie behutsam durch eine der blassgrünen Türen führt. Kann man so jung und schon Ärztin sein? Und müsste man sich in dem Job nicht öfter die Haare waschen? Der Schmerz zieht wie Klingen durch die Haut, und Marta denkt: »Dies hier ist wenigstens real.« Paul dreht sich besorgt zu ihr um, als er sie kichern hört.
»Sah schlimmer aus, als es ist«, meint die Ärztin, »wir sollten die Hand trotzdem ruhigstellen. Sie bluten ungewöhnlich stark. Lassen Sie das bei Gelegenheit untersuchen, ja?«
Sie schiebt wie zufällig die Silberreifen von Martas anderem Handgelenk. »Und das? Woher stammen die Narben?«
Ein Inhaltsverzeichnis oder eine Landkarte, will sie sagen, entscheidet sich dann doch für »Stacheldraht, bin als Kind mal reingeraten.«
»Nehmen Sie eine halbe von denen, wenn die Schmerzen schlimmer werden, aber höchstens zwei am Tag«, bemerkt sie mit einer Stimme, von der man nicht weiß, ob sie müde oder eher resigniert klingt. Alles Weitere könne der Hausarzt machen, sie wünsche Gutes. Eine komische Formulierung: »Ich wünsche Ihnen Gutes!«
Später fällt Marta ein, dass sie vergessen hat, sich bei der Ärztin zu bedanken.
Es wird nie dunkel in ihrem Schlafzimmer, der Schein der Straßenlaterne lässt die Dinge gerade so weit hervortreten, dass sie leicht zu erraten sind, wenn man sie kennt. Ab und zu streift ein Motorengeräusch vorbei und lässt Lichtfelder über die Bücherreihen wandern. Marta spielt das Schattenspiel. Eine lachende Fratze verzieht sich zum Schlangendrachen, der an den letzten Bänden des Brockhaus noch kurz ein bellender Pudelkopf sein könnte, bevor er verschwindet. Pauls Atem streicht an ihr Ohr,
als wisse er noch im Schlaf, dass es sie beruhigt, ihn leben zu hören.
Sie waren schweigend vom Krankenhaus zurückgefahren. Erst als sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatten, umarmte er sie, zog sie vorsichtig mit sich zum Sofa und sagte: »Erzählst du mir was?«
Eines Tages, zu der Zeit, als die Tiere noch alle beisammen in ihrem Dorf lebten, behauptete die Spinne, sie könne den Leoparden fangen. Keiner, dem sie das erzählte, wollte ihr glauben, und so gab es Streit. »Ich werde es euch beweisen!«, rief die Spinne, fertigte einen Korb und ging den Leoparden suchen. »Leopard«, rief sie, »die anderen lachen über mich, weil ich gesagt habe, du seiest das schönste und geschickteste unter den Tieren. Als ich ihnen diesen Korb gezeigt habe, meinten sie, du könntest dich niemals hineinlegen, denn dazu seiest du viel zu fett und plump.« – »Das wollen wir doch einmal sehen«, sagte der Leopard und zwängte sich in den Korb. Da schnürte die Spinne den Korb zu und trug ihn auf den Dorfplatz. »Was habe ich euch gesagt?«, jubelte sie, »hier ist der Leopard!« Da staunten alle, und die Spinne freute sich so über den gelungenen Streich, dass sie zum Palmwein einlud und selbst reichlich davon trank. Als alle betrunken waren, schickte sie ihren Sohn, ein Messer zu holen, denn sie wollte den Leoparden abstechen. Der Spinnensohn aber dachte, er solle die Schnüre durchschneiden, und tat es. Da sprang das wilde Tier aus dem Korb und stürzte sich auf die Spinne und ihren Sohn, die sich blitzschnell in einer mit Pfeffer gefüllten Kalebasse versteckten. Da wartete die Spinne, bis das Leopardenauge am Flaschenhals erschien, nahm ein großes Maul voll Pfeffer und pustete ihn mit aller Kraft hinaus. Der Leopard jaulte auf, schrie vor Schmerz und rannte in den tiefsten
Busch. Dort ist er bis auf den heutigen Tag geblieben. Die Spinne hatte ihn verjagt.
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