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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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Haltung dazu war vorausszusehen: Wenn einem jungen Mädchen so etwas passierte, lag dem mit Sicherheit eine Provokation ihrerseits zugrunde. Ansonsten machten die Jungs in Bierlaune schon mal die eine oder andere Dummheit, Burschenstreiche eben.
    »Sind doch selber schuld, die Weiber, wenn sie vergewaltigt werden.« Hatte sie einmal den Vater im Suff diesen Satz grölen hören? War er begleitet von Gretas Schluchzen, hielt sie sich die brennende Wange im Ausschnitt eines Schlüssellochs?
    Ich bringe Erinnerungen und Erfindungen durcheinander.
    Marta schüttelt sich angewidert. Wenn sie vorher nachgedacht hätte, hätte sie auf die Szenerie gefasst sein können. Bei dieser Beerdigung aufzutauchen war die dämlichste Idee überhaupt. Sie könnte jetzt schön mit Paul am Meer sitzen, Muscheln mit Pommes essen, und die einzige Entscheidung, die anstünde, wäre, ob man danach schwimmen geht oder lieber gleich ins Bett.
    Zwei weitere Bandträger bitten Greta und Marta weiter nach vorne, einer von ihnen stutzt, schaut Greta länger an und unternimmt den Versuch, ihr die Hand zu reichen. Gretas Kieferknochen treten scharf hervor, als sie die Geste ignoriert.
    »Kennst du den Mann?«
    Die Stimme des Pfarrers lässt Gretas Gemurmel untergehen.
    »Hilf der Familie und allen, die über seinen Tod trauern …«
    Greta entfährt ein Schnauben, das Marta fast schon vertraut vorkommt. Jemand schnäuzt geräuschvoll ins Taschentuch. »Erika!«, flüstert Greta und weist mit dem Kinn nach rechts. »Wenn die mich in die Finger kriegt …«

    »Was soll die blöde Kuh schon von dir wollen«, antwortet Marta mit einer Gelassenheit, die sie selbst überrascht. Richards Schwester ist noch fetter geworden und älter und hässlicher und wird kaum mehr in der Lage sein, jemanden am Hemd festzuhalten, geschweige denn, in ein Auto zu zerren.
    Guck mal, hier bin ich. Ihr habt mich nicht gekriegt.

    Irgendwo zwischen Plouha und Frankenberg ist ihr die Angst abhandengekommen. Sie wird sich nicht auf die Suche danach machen und hoffen, dass sie mitsamt der Feigheit in einem Straßengraben verfault, bevor sie den Weg zurück zu ihr finden kann. Nein, so dämlich war die Idee gar nicht.
    Gleich werden sie Erde auf deinen fest verschraubten Sarg fallen lassen. Arschloch! Das Lebensbundprinzip dieser Querbandträgerkollegen als Ersatz für Liebe und Freundschaft, das ist nicht viel. Armer einsamer alter Mann. Mein Vater ist gestorben, früher, vor langer Zeit, habe ich ihn gelegentlich »Papa« genannt.
    Der Pfarrer sagt: »Lasset uns beten.«

    Sie waren von der Raststätte gefahren, und Marta hatte eben den Wagen auf 180 beschleunigt, als Greta fragte: »Hast du vorhin gesagt, du kennst mich zu wenig?«
    »Ist eine Tatsache«, erwiderte Marta und bemühte sich, dem Vordermann zu signalisieren, dass er Platz machen möge.
    »Darf ich dir etwas von mir erzählen?«
    Marta zögerte.
    »Kein Melodrama, keine Analyse, reine Beschreibung«, beeilte sich Greta hinzuzufügen und scheiterte an dem Versuch, ein schalkhaftes Lächeln zu produzieren.
    »Von mir aus.«

    Greta ließ sich tiefer in den Sitz rutschen. Sie begann mit dem Tag, an dem sie die Stellenanzeige auf dem Tisch gefunden hatte, erzählte von ihrem Eindringen ins Personalbüro, von den Tagen in Richards Keller, wo der Redefluss wieder ins Stocken kam.
    »Nervt das, wenn ich dich so zuquatsche?«
    »Es nervt, wenn du das fragst. Erzähl weiter!«
    Sie berichtete vom Reinigen der Kleiderbügel, ihren ersten Schritten ins neue Leben, wie sie es nannte, dem Glück, das sie von da an gehabt hatte.
    Glück, dachte Marta, also doch.
    Ernest Calva hatte seinen Auftritt, bekam wesentlich mehr Platz eingeräumt als die Tage im Keller oder die Zeit in der ersten billigen Wohnung, geschweige denn Katis Lavieren zwischen Mutter und Vater, das Greta knapp mit einem galligen Unterton andeutete, so dass Marta sich die Nachfrage für später aufhob. Gretas Miene hellte sich wieder auf, als sie weiter von ihrem beruflichen Aufstieg berichtete: Zürich, Budapest, Paris, Berlin, Hamburg, Frankfurt, immer wieder Glück. Läden wurden konzipiert, Kollektionen präsentiert, Geschäftsabläufe optimiert, Arbeitsbesprechungen an der Côte d’Azur abgehalten, Reisen zu den wichtigsten Modemessen rund um den Globus unternommen, mit goldener Senatorcard in eine Welt, die ihr ebenso freundlich wie respektvoll entgegenkam. Dass sie das Ganze nur mit an Selbstaufgabe grenzendem Einsatz für den Job und eiskalt an Leistung

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