An und für dich
Schule ausgehalten hast und dass du bei der Schlägerei dazwischengegangen bist und dass du mitten in der Nacht aufgestanden bist, um an dem Buch zu schreiben. Ich hoffe so, dass es gedruckt wird, und ich hoffe, es wird ein Bestseller, aber selbst wenn das nicht klappt – ich will, dass du noch eins schreibst. Weil du nämlich …« Sie fing an zu lachen. »… weil du als Schriftsteller so viel besser bist als als Lehrer. Das ist einfach dein Ding, okay?«
»Okay.« Conor hatte einen so großen Kloß im Hals, dass er nichts weiter sagen konnte. Es bedeutete ihm so viel, das alles aus ihrem Mund zu hören.
»Und ich will noch was anderes …«
»Nämlich?«
Sie trat ins Zimmer, schleuderte ihre Flipflops in die Ecke und schob mit dem nackten Fuß die Tür zu. Dann zog sie sich das blaue Kleid über den Kopf und fing an, ihm das Hemd aufzuknöpfen. »Das hier.«
Jill träumte, sie würde über Wasser gehen. Es war so einfach, dass sie sich fragte, wieso sie es noch nie zuvor ausprobiert hatte. Dann geriet sie aus dem Gleichgewicht, das Wasser gab unter ihr nach, und sie glitt unter die Oberfläche. Sie erwachte schweißgebadet. Sie war an lauter Kabel angeschlossen. Aus zwei dünnen Plastikschläuchen in ihrer Nase zischte ein kühler Sauerstoffstrom.
Es war später Nachmittag. Als sie eingeschlafen war, hatte Sadbh an ihrem Bett gesessen, jetzt war sie jedoch nicht mehr da. Ihre Augen waren vom Schlaf noch ganz verklebt. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an, und sie hatte einen sauren Geschmack im Mund, konnte aber völlig klar denken. Sie hielt den Atem an und wartete darauf, dass sich der Nebel an Wörtern in ihrem Kopf lichten würde, aber nichts geschah.
»Ich bin hier«, sagte sie laut. Ihre Stimme klang etwas eingerostet, aber sie sagte, was sie sagen wollte. Die Wörter, die ihr vorher wie Fische entglitten waren, schwammen nun brav in sinnvollen Schwärmen. »Hier bin ich.«
Sie blieb reglos liegen, aus Angst, diese köstliche Klarheit in ihrem Kopf könnte wieder verschwinden. Sie sah sich im Zimmer um und benannte die Dinge: »Tür. Spind. Wasserglas. Fensterbrett. Foto.« Sie setzte sich auf, um es näher betrachten zu können, und dachte einen Moment lang, sie würde immer noch träumen.
Auf dem Bild waren sie und Rob und Sadbh, und Sadbh war erwachsen. Aber das war unmöglich. Sie starrte die drei Personen an, die da nebeneinanderstanden. Ein Schnappschuss aus dem Leben, das sie hätte führen sollen. Das Leben, das er zerstört hatte, als er ging. Dann wurde ihr klar, dass es nur so aussah wie ein Foto. Es waren zwei, das eine stand vor dem anderen.
Nachdem er sie verlassen hatte, hatte sie sich ihre eigene Welt erdacht und mit Sadbh darin gelebt. Die kleine Notlüge, dass er sie einfach so verlassen hatte. Dass er einfach so gegangen war und nie wieder einen Gedanken an sie verschwendet hatte. Aus irgendeinem Grund hatte sie gedacht, dass sie so beide besser damit zurechtkommen würden, dass er nicht mehr da war. Sadbh wuchs in diesem Glauben auf, und irgendwann hatte Jill angefangen, es selbst zu glauben. Und dann war es zu spät gewesen, um die Wahrheit zu sagen. Es hätte Sadbh auch nur verwirrt.
Achtzehn Jahre lang schickte er jeden Monat Geld. Sie hatte ihn dafür gehasst, dass er sein Versprechen hielt. Sie wollte, dass er damit aufhörte, damit sie ihn noch mehr hassen konnte, aber er hörte nicht damit auf. Sie gab keinen einzigen Penny davon aus, nicht mal am Anfang, als sie das Geld bitter nötig hatte. Sie wollte es irgendwann alles Sadbh geben, zusammen mit den Postkarten, wenn der richtige Zeitpunkt kam, aber dieser Zeitpunkt war nie gekommen.
Rob hatte Jill das Herz gebrochen, und sie hatte es ihm ebenfalls brechen wollen. Das war ihr auch gelungen. Sie hörte den Schmerz zwischen den Zeilen jeder einzelnen dieser fröhlich anmutenden Karten heraus, die er ihr schrieb. Alles Liebe, Dad. Anfangs hatte es sie noch getröstet zu wissen, dass er litt. Aber im Laufe der Jahre machten sie seine hartnäckigen Versuche, mit einem Mädchen in Kontakt zu bleiben, das sich gar nicht mehr an ihn erinnern konnte, nur noch traurig.
All die Geburtstage, all die Weihnachten, die er verpasst hatte, und die vielen Momente dazwischen. Die Zoobesuche. Die neuen Schuhe für die Schule. Die Pyjamapartys. Das Gewicht all dieser Jahre im Vergleich zum Gewicht des beschriebenen Papierstapels, der insgesamt weniger wog als Sadbh, als er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Es vergeht kein Tag, an dem ich
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