An und für dich
vor einem Motorradkurier auf die Straße. Er konnte ihr gerade noch ausweichen und fuhr fluchend weiter.
»Saffy!« Jess konnte ihr mit dem Kleid in der Hand nicht hinterherlaufen.
»Saffy!« Ein großer, gebräunter Typ mit verwuschelten, blonden Haaren rief ihr ebenfalls hinterher.
Saffy verschwand auf der anderen Straßenseite um eine Ecke.
»Verdammte Scheiße! Wo will sie denn hin?«, fragte der Typ. Er war Australier.
Jess schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Ich bin Doug.« Er streckte ihr eine große, gebräunte Hand entgegen. Sie war von einem Netz winziger, weißer Narben überzogen, und am Handgelenk trug er so ein dämliches Kabbala-Band. Sie schüttelte ihm die Hand.
»Ich bin Jess.« Kannten sie sich? War er ein Arbeitskollege von Saffy?
Er lächelte. »Saffy und ich haben vor ein paar Wochen eine Nacht zusammen verbracht. Offensichtlich hatte sie da nicht allzu viel Spaß, sonst wäre sie wohl nicht so halsbrecherisch abgehauen. Und offensichtlich ist das heute auch nicht mein Tag, du bist ja anscheinend auch schon vergeben.«
»Was?« Jess war verwirrt. Saffy hatte die Nacht mit diesem Typen verbracht ?
Doug deutete auf den Ring an ihrem Finger und auf das Hochzeitskleid, das sie immer noch hielt. »Ist ja nicht schwer zu erraten. Wann ist denn der große Tag?«
Jess lachte auf. »Nie ...«, setzte sie an, zögerte dann aber. Sie fand es nicht in Ordnung, dass Saffy mit diesem wildfremden Australier im Bett gewesen war, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihm deshalb etwas erzählen würde, was ihn nichts anging.
»… ich hätte nie gedacht, dass ich mal heirate, aber in drei Wochen ist es so weit.«
»Dann grüß mal deinen Verlobten schön von mir, der hat echt einen guten Fang gemacht. Ach ja, und wenn du Saffy siehst, sag ihr, Dublin ist klein. Früher oder später laufen wir uns wieder über den Weg.«
Saffy saß an der Bar im Neary’s. Sie hatte zwei Lachssandwiches und zwei Gläser Guinness bestellt, und beide bereits fast ausgetrunken.
»Tut mir leid, dass ich einfach so weggerannt bin. Das war David«, sagte sie. »Ein ganz schlimmer Kunde von uns, und ich wollte ihn nur gerade nicht sehen, weil …«
»Er heißt Doug«, unterbrach sie Jess. Sie legte das Kleid auf den Barhocker neben sich und starrte Saffy böse an. »Und er sagt, er hat mit dir geschlafen.«
Saffy schlug die Hände vors Gesicht.
»Es war nicht so, wie es aussieht, Jess. Er hat nach einem Geschäftsessen gedroht, meine Kreditkarte zu zerschneiden, und mich gezwungen, mit ihm essen zu gehen. Er hat mich durch ganz Dublin geschleift, wir haben Fast Food und Austern gegessen, und er hat mich komplett abgefüllt. Dann hat er mich so lange bearbeitet, bis ich zum Dessert mit in seine schreckliche Wohnung in Temple Bar gegangen bin, um da Soufflé zu essen, und dann … weiß ich nicht mehr.«
»Was weißt du nicht mehr?«
Saffy schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was passiert ist«, flüsterte sie. »Ich kann mich nicht erinnern.«
Jess starrte sie an. »Du hast einen Filmriss! Und du hattest einen One-Night-Stand! Saffy! Du bist verlobt!«
»Es war, als Greg und ich gerade getrennt waren. Und ich weiß ja nicht mal, ob überhaupt etwas passiert ist. Eben hat er noch das Soufflé zubereitet, und dann wache ich plötzlich in seinem Bett auf. Ich weiß, dass ich das Soufflé gegessen habe, weil ich ...« Auf einmal hatte sie wieder die Stiefel des Ballonfahrers vor Augen, mit braunen und orangefarbenen Tropfen darauf. »Ist ja auch egal, ich weiß es jedenfalls. Aber ansonsten erinnere ich mich an nichts mehr. Ich war irgendwie total neben der Spur, weil Greg ausgezogen war. Aber mir geht’s wieder gut, wirklich. Ich will nur nicht darüber reden. Lassen wir das einfach, ja?«
»Aber …«
»Bitte.« Saffy begann zu weinen.
Jess hätte sie am liebsten geschüttelt. Stattdessen gab sie Saffy ein Taschentuch und sagte ihr, sie solle sich die Nase putzen. Das machte man so, wenn man Kinder hatte. Das machte man so, wenn andere Leute ausgingen, sich betranken, Soufflé und Austern aßen und mit wildfremden Leuten ins Bett gingen. Man kümmerte sich um sie.
Saffy versuchte, an etwas Erotisches zu denken, wurde aber immer von anderen Gedanken unterbrochen. Völlig unerotischen Gedanken, wie zum Beispiel, was wohl passieren würde, wenn sie jemals zusammen mit Greg auf Doug treffen würde. Und ob sie daran gedacht hatte, das Drehbuch für den Avondale-Werbespot ans Lektorat zu schicken. Und wie
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