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Analog 03

Analog 03

Titel: Analog 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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hat er sich kein einziges Mal bewegt“, sagte sie. Die Ehrfurcht in ihrer Stimme war unverkennbar.
    Ich zuckte die Achseln und ließ mich mit gekreuzten Beinen unmittelbar links vor den ausgestreckten Füßen des Sachem nieder.
    „Ich habe gesehen, daß er tagelang die Lage nicht gewechselt hat“, sagte ich. Ich studierte den lebenden Berg vor mir und verspürte ebenso eine ununterdrückbare Ehrfurcht.
    Sein verdeanischer Name war Cirlos, was „Er, der lehrt“ zu bedeuten hatte. In seinem breiten Schatten vor ihm sitzend, kam ich mir wie ein Pygmäe vor, der eine Sequoia aufsucht. Der Sachem war riesig. Darüber hinaus war er gelassen, monumental, ein lebendes Wesen, das irgendwie den Stempel des Göttlichen trug.
    Wir warteten. Cirlos atmete ein und aus, flach, aber regelmäßig. Von Zeit zu Zeit strömte, regelmäßig wie ein Metronom, Luft ruhig durch seine Nasenlöcher.
    „Cirlos weg“, signalisierte Morge. Rechts von Noriko hatte er seine geduldige Wartehaltung eingenommen.
    „Ja“, erwiderte ich.
    Noriko verfolgte den Austausch, konnte die Gesten jedoch nicht lesen. Sie hockte sich neben der Stange nieder und hob eine Handvoll Staub auf, ließ ihn durch die Finger rieseln.
    „Weiß er, daß wir da sind?“
    „Er weiß es.“
    Hinter uns tauchten, wie aus dem Boden gewachsen, mehrere andere Verdeaner auf. Sie begannen eine lebhafte Unterhaltung, die Frequenz war jedoch für menschliche Ohren viel zu hoch.
    Eine weitere Stunde kroch dahin. Cirlos zeigte außer dem Atem keine andere Bewegung. Nach weiteren fünfzehn Minuten wurde das Mädchen unruhig.
    „Sind Sie sicher, daß er weiß, daß wir da sind?“
    Morge signalisierte eine Antwort, und ich übersetzte sie ihr.
    „Sir, Cirlos weiß es. Er sieht. Er hört. Er schenkt Ihnen kurze Aufmerksamkeit. Wie den Blumen. Wie dem Gras, wie mir … wie Bof hier.“ Er brach ab und berührte einen anderen Verdeaner.
    „Lieber Gott!“ stieß Noriko hervor. Sie warf mir mit ihrem Harte-Burschen-Gesicht schnell einen Blick zu, hob eine weitere Handvoll Staub auf, ließ ihn fallen und rieb die Hände aneinander. „Sagen Sie mir nochmals, wie sie sehen“, sagte sie. „Daß ich ihnen nicht in die Augen sehen kann, macht mich nervös.“
    Es hatte auch mich nervös gemacht, als es mir zum ersten Mal begegnet war. Unsere Augen vermitteln soviel an menschlichem Ausdruck, daß ihr Fehlen beunruhigend wirkt.
    Die Verdeaner nahmen die Wellenlänge des sichtbaren Lichts nicht wahr. Die chitinösen Streifen, die ihnen als Augen dienten, fokussierten eine gänzlich andere Art von Energie – Lebensquanten. Ihr Gesichtssinn war eine heftige Wahrnehmung der sie umgebenden Lebensformen.
    Verdes Biosphäre wimmelte von lebenden Organismen, einer dicken Lebenssuppe. Die Verdeaner nahmen die Mikroorganismen als Hintergrund wahr, vor dem sich die größeren Tiere (einschließlich der Menschen) als hell brennende Formen abhoben.
    Es war eine interessante evolutionäre Anpassung. Die Verdeaner konnten durch gewöhnliches Fensterglas nicht hindurchsehen, aber sie konnten sich in pechschwarzer Dunkelheit so mühelos wie bei Tageslicht bewegen.
    Es gab eine plötzliche Bewegung. Cirlos stellte die Schultern auf und drehte den Kopf ein wenig, so daß er auf mich hinunterschaute. Finger von Bananengröße bewegten sich mit sicherer Gewandtheit.
    „Was sagt er?“ fragte Noriko. Sie entfernte sich von der Stütze und ließ sich neben mir nieder.
    „Er begrüßt uns einfach“, erwiderte ich. „,Hallo – guten Morgen’ oder dergleichen.“
    „Er ähnelt einem Buddha“, flüsterte sie. Sie starrte auf die massige grüne Gestalt.
    „Das stimmt“, erklärte ich. Ich fragte mich kurz, ob ihr Kommunikator eingeschaltet war. Hörte Shagata zu? Ich zuckte die Achseln und wandte mich dem Sachem zu. Wir fingen unsere übliche Diskussion an. Beim Sprechen übersetzte ich seine Handbewegungen, damit das Mädchen die Diskussion verfolgen konnte. Wie immer hatte unsere Konversation viele Annäherungslinien – und genauso viele Rückzugspfade. Wir schritten leicht, vorsichtig und mit dem Gefühl gegenseitigen Respekts aus. Es gab kein Gefühl der Eile.
    Für beide von uns handelte es sich um ein unerforschtes und äußerst heikles Territorium.
    Ich war mir nicht sicher, was Cirlos von mir wollte, aber ich wußte ganz genau, was ich von ihm wollte. Bündig gesagt, hatte er ein Geheimnis zu verbergen, und ich hatte vor, es ihm zu entreißen.
    Ich hatte bereits eine Ahnung.
    Die Verdeaner

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