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Analog 04

Analog 04

Titel: Analog 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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untersucht habe.“ Er trat zu dem anderen Bruder und wiederholte die Untersuchung. „Was sagen die Jinrah über die Krankheit?“
    „Sie sagen, jemand habe das Tabu ihres Familienhains gebrochen.“
    Er sah sie an, Widerwillen im Blick. „Schrecklich. Bei dieser Einstellung begreife ich auch, warum sie bisher keine einfache Heilkunde entwickelt haben.“
    Martina zuckte die Achseln. „Sie glauben, daß die heiligen Pflanzen über ihr Leben bestimmen. Sie gehen immer wieder in die geheiligten Haine, um mit ihnen in Verbindung zu treten.“
    „Und warum liegen diese Burschen dann nicht in ihrem heiligen Hain? Wenn die Pflanzen allgemein schon wichtig sind, dann müßten sie doch doppelt bedeutungsvoll sein, wenn ihre Eigentümer erkrankt sind.“
    „Sie waren im heiligen Hain“, sagte Martina. „Dort sind sie krank geworden.“
    „Nun, das stellt den guten heiligen Pflanzen aber nicht gerade ein besonderes Zeugnis aus, oder?“ Er erhob sich. „Ich glaube nicht, daß sie noch lange leben – hör nur, wie sie atmen.“
    „Kannst du gar nichts tun?“
    „Das wage ich nicht. Es ist wahrscheinlicher, daß ich sie umbringe, statt ihnen zu helfen.“ Er wandte sich von den kranken Wilden ab. „Nach diesen acht Monaten weiß ich noch nicht genug über sie. Wenn du mich nicht an meiner Arbeit gehindert hättest, dann könnte ich ihnen jetzt vielleicht helfen.“
    Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, doch sie sagte nichts. Sie sah ihm nach, während er durch den Kreis der Klagenden trat und sich auf den Weg zur Station machte. Sie blieb und schloß sich den Wartenden an. Dies war ihre erste Gelegenheit, ein Bestattungsritual zu beobachten.
    Als die Familienmitglieder eine Wehklage anstimmten, wußte sie, daß die Brüder gestorben waren. Inzwischen hatte sich der Himmel verdunkelt, und die Frauen, die nicht der Familie angehörten, hatten den Trauerkreis verlassen. Nur die Männer saßen noch dort. Jemand entzündete ein Feuer, so als ob es sich um eine gewöhnliche Nacht handelte, und im Feuerschein sah Martina den Ring der Gesichter, während der nächtliche Regen einsetzte. Während der ganzen Nacht blieben die Jinrah im trommelnden Regen sitzen. Sie klagten und schaukelten von einer Seite zur anderen, und Martina blieb bei ihnen. Bei Anbruch der Morgendämmerung kehrten die Frauen zurück. Kurz darauf hob der Häuptling seine Hände zum Zeichen des Schweigens, und das Wehklagen und Schaukeln brach ab.
    „Wer hat das getan?“ rief er. „Derjenige soll vortreten und seine Strafe empfangen.“
    Niemand bewegte sich.
    „Wer hat das getan?“ wiederholte er.
    Keine Bewegung.
    „War es ein Kind, geschah es ohne Vorsatz, oder war es ein bewußtes Verbrechen?“
    Niemand bewegte sich, niemand sagte etwas.
    „Streut die Botschaft aus“, rief der Häuptling. „Sagt denen, die jetzt nicht hier sind, daß der Schuldige sich bekennen soll. Die Zeit der Klage ist vorüber.“
    Darauf löste sich der Ring der Klagenden auf, und nur die Familie blieb noch unter dem Dach. Einer der Gatten fragte höflich, ob Martina am intimen Teil des Rituals teilnehmen wolle. Nachdem sie sich seit acht Monaten auf ihrem Gebiet aufhielt, wußten sie alle, wie sehr sie sich für ihre Rituale interessierte. So begleitete sie schließlich die Familie auf ihrer langen Wanderung mit den beiden Leichnamen. Ungefähr fünfzehn Kilometer vom Dorf entfernt legten sie die Leiber auf eine Plattform, die sich auf Pfählen über den Boden erhob. Auf der Plattform hatten Knochen gelegen, die Überreste von früheren Verstorbenen, doch sie stießen sie herunter. Rings um die Plattform lagen Knochen auf dem Boden verstreut, und in der Nähe entdeckte Martina ein zweites Bestattungsgestell mit weiteren Knochen. Sie fragte sich, wie lange es wohl dauern mochte, bis die Aasfresser alles Fleisch von den Knochen gelöst hätten. Sicher ging es sehr schnell, und die Hitze half bei der Verwesung.
    Als sie kurz vor Sonnenuntergang zur Station zurückkehrte, fand sie nur Jack und Fiona vor. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, daß sie sie kaum zu bemerken schienen. Martina leerte einen Becher mit Proteinkonzentrat und sank ins Bett. Plötzlich wurde sie unsanft aus dem Schlaf geschüttelt.
    „Diese beiden Jinrah“, fragte Jack, „wo sind sie? Was ist mit ihnen geschehen?“
    Sie rieb ihre verklebten Augen und blinzelte. Ihr Kopf war schwer, und sie fühlte sich völlig desorientiert. „Wie spät ist es eigentlich?“
    „Du stehst sonst viel früher

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