Analog 06
sich der Versammlung zu und erstarrte. Sorrel drückte ihm ein Exemplar des Manuskripts in die Hand, das die Theorie enthielt. Das Manuskript hatte Cal selbst geschrieben. „Sag ihnen doch einfach, was du weißt“, flüsterte Sorrel auf Anglisch.
Cal schaute auf die Blätter hinab. Plötzlich schien er sich darauf zu besinnen, wo er sich befand. Er wandte sich dem Bildschirm zu und rief das erste Diagramm ab. Sorrel verließ die Plattform und sah sich die Schar der UL-Studenten an.
Sie waren die besten. Gemeinsam mit dem Chefgenetiker und dem Koordinator der Blutwarte hatte Sorrel sie ausgesucht. Jeder Student besaß sechs Eltern mit einem soliden wissenschaftlichen Hintergrund im mathematischen oder technischen Bereich. Alle Studenten waren sehr jung und pausbäckig. Junge Rosaner konnten nicht nur mehr Wissen speichern, sondern sie hatten auch genügend Geduld, um die umständliche, weitschweifige Art der Menschen zu ertragen.
Sorrel wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Lehrer zu. Cal mochte zwar kühl und überheblich sein, doch langsam erwärmte er sich für sein Thema. Er begann schneller zu sprechen und dann noch schneller, als er beim Reden feststellte, daß es keine Rolle spielte, wie schnell er sprach; seine Studenten vermochten jedem Tempo zu folgen. Sorrel wußte, daß Cal keinen schlimmeren Fehler machen konnte, als zu langsam zu sprechen, denn dann würden sich die Studenten nicht mehr konzentrieren können.
Hoppla, einer der Studenten stellte eine Frage. Seine Sätze kamen so schnell, daß Sorrel ihnen nicht zu folgen vermochte. Daran würde man sich erst gewöhnen müssen. Ein schwerwiegenderes Problem würde auftauchen, wenn einer der Menschen eine zu große Zuneigung zu einem rosanischen Schüler entwickelte … Vermutlich war Cal gegen so etwas immun, aber Sorrel befürchtete, daß Wandra schreckliche Schwierigkeiten bevorstanden. Er würde sich ihre Ego-Karte noch einmal genau ansehen müssen. Zum ersten Mal hatte Sorrel das Gefühl, daß er für dies Unternehmen wichtig war, nicht nur, weil er die Rosaner in Ehrfurcht versetzte und so die Arbeit beschleunigte, sondern auch, weil er persönlich nützlich war.
Ein Arm schlang sich um seinen linken Arm, und Wandra flüsterte ihm ins Ohr: „Nun, ich glaube, Cal kommt gut ohne uns zurecht. Wir haben vor, in Zwei-Stunden-Schichten zu lehren, mit einer Stunde Pause zwischen jeder Doppellektion, damit die Studenten wenigstens zwischendurch Gelegenheit haben, sich wie normale Rosaner zu benehmen. Was hältst du davon?“
Sorrel nickte. „Der ganze Unterricht läuft ja mündlich ab, darum finde ich deinen Vorschlag ganz vernünftig. Wir werden sehen, wie es bei dieser Gruppe funktioniert. Später können wir die Technik immer noch abändern. Ich habe das Gefühl, zwei Stunden menschlichen Vortrags sind eine ganz schöne Zumutung für sie – aber warten wir erst einmal ab.“
Während sie sich unterhielten, hatte Wandra ihn sanft aus dem Raum gezogen. Zwei Rosaner huschten mit einem Elektrowagen, der mit Tunnelbaugeräten beladen war, an ihnen vorüber. Wandra ließ sich auf den kühlen Steinboden sinken, und Sorrel folgte ihrem Beispiel. Linkisch purzelte er über sie, während sie ihn hinabzog. Sie lachte graziös, und auch er mußte lachen. Sie schüttelte den Kopf. „Das Stehen in der Vorlesungshalle hat mich so müde gemacht, daß ich unbedingt einen Platz finden mußte, wo ich mich niederlassen konnte“, sagte Wandra.
Sorrel nickte. „Ja, ich hatte ein Gefühl, als ob mir alles Blut in die Beine gesackt wäre. Ich glaube, wir müssen an strategischen Punkten hier und da auf Khayyam ein paar Stühle aufstellen. Entweder wir machen das, oder wir bauen die Rosaner genetisch so um, daß sie ebenfalls Stühle benötigen. Dann erfinden wir einen Stuhl für sie und machen ein Vermögen, indem wir ihnen Kissen verkaufen.“
Wandra lachte erneut – ein wundervoller, menschlicher Laut. Auch die Rosaner lachten gelegentlich, aber es war ein hektisches, zirpendes Geräusch, Kolibrigelächter. Für getragene Klänge war hier auf Khayyam keine Zeit.
Plötzlich brach Wandras Lachen ab. „Hast du die Techniker beobachtet, als du zu ihnen gesprochen hast?“
Sorrel seufzte. „Ja, das hab’ ich.“
„Sie beten dich an.“
„Ich weiß.“
Das Schweigen lastete schwer in der ruhigen, trockenen Luft. Schließlich ergriff Wandra wieder das Wort: „Ich weiß, daß du einmal etwas Besonderes für dieses Volk geleistet hast, aber ich muß
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