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Analog 06

Analog 06

Titel: Analog 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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zugeben, daß es mich fasziniert, wie genau sie sich an dich erinnern. Das war doch vor Hunderten von Generationen, oder?“
    Sorrel seufzte wieder. „Das stimmt, aber das Gedächtnis der Rosaner ist lang und unberechenbar.“
    Wandra starrte ihn schweigend an.
    Er atmete langsam aus. „Besonders gut erinnern sie sich an ihre Götter.“
    Sie nickte. „Das hat Brek Dar El Kind auch gesagt.“
    „Brek Dar El Kind?“
    „Einer der Studenten.“
    „Aha.“ Nach einer langen Pause: „Hat er dir von dem Sechs-Eltern-Glauben erzählt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nun, das ist die Hauptreligion hier auf Khayyam. Im Mondfalterhöhlennetz ist es sogar die einzige Religion. Die Anhänger einer früheren Religion wurden vor einigen Jahren in einem Krieg ausgelöscht. Das geschah kurz nachdem ich meine Dissertation über die rosanische Kultur veröffentlicht hatte.“
    „Hm … War es ein Zufall, daß es so kam?“
    Sorrel stützte den Kopf in die Hände. „Ich fürchte, nein. Ich habe den Sechs-Eltern-Glauben nämlich erfunden, mußt du wissen.“ Er zuckte die Achseln. „Was ich mir da ausgedacht hatte war natürlich keine Religion, es war nur ein Gedanke. Doch als diese Idee von real existierenden Wesen auf einem wirklichen Planeten aufgegriffen wurde, verwandelte sie sich in eine Religion.“ Er atmete tief ein.
    Gerade in diesem Augenblick hörten sie etwas um die Ecke huschen. Dieses Etwas verursachte eilige, kratzende Geräusche beim Laufen, die Schritte der Rosaner klangen völlig anders. „Ganz still!“ kommandierte Sorrel.
    Er wandte sich dem Geräusch zu, und tatsächlich kauerte dort ein Krat und beobachtete sie aus hungrigen Augen.
    Der Mensch und das Krat starrten einander dort im Tunnel lange Zeit in die Augen. Die Blütenblätter des Krats waren viel stärker ausgefranst als die der Rosaner, und über seine linke Flanke zog sich eine häßliche Narbe. Das kleine, aber gefährliche Tier näherte sich.
    Ein Elektrowagen jagte durch den Tunnel auf sie zu, und das Krat verschwand.
    Sorrel stellte fest, daß seine Hände zitterten. Trotz er staubigen Luft war seine Stirn feucht. „Eigentlich sind sie nicht sehr gefährlich“, sagte er mehr zu sich selbst als zu Wandra. „Normalerweise greift ein Krat einen ausgewachsenen Rosaner nicht an. Aber die Rosaner haben vor kurzem mit einer großangelegten Ausrottungskampagne gegen die Krats begonnen, und der Hunger macht sie dreister.“
    Wandra drückte seinen Arm. „Danke für die Erläuterung“, sagte sie, dann schaute sie ihm vergnügt ins Gesicht. „Du wolltest mir eben von deiner Dissertation erzählen.“
    „Ah ja.“ Sorrel holte tief Luft. „Ich werde mit dem Lebenszyklus der Rosaner beginnen. Es gibt bei den Rosanern zwei Geschlechter, genau wie bei den Menschen, nur daß die Rosaner besser miteinander auskommen.“ Wandra boxte ihn gegen die Schulter, und er lachte. „Na ja, jedes genetische Elternpaar legt mehrere Eier. Nach einem Jahr schlüpfen Larven aus den Eiern und begeben sich hinaus in die Wüste. Die Rosanerlarven sind zähe Wesen, so widerstandsfähig, daß sie es sogar überleben, wenn sie mehrfach der direkten Einstrahlung von Khayyams Sonne ausgesetzt sind. Zwei Jahre lang wachsen die Larven, und sie schlagen sich durch, bis sie zu ihrem Schlupfort zurückkehren. Zu diesem Zeitpunkt nehmen sie die Erwachsenengestalt an.“
    Sorrel spürte Wandras Atem auf seiner Wange, und er genoß die Wärme, die die Nähe der Frau ihm bot. „Der letzte Akt dieser Metamorphose ist das Blutfest, in dem die Larven das für sie aufbewahrte, geronnene Hirnblut der Bluteltern verzehren. Von den Bluteltern übernimmt die Larve schon vorher durch Vererbung viele Erinnerungen, Meinungen, Ansichten. Am wichtigsten sind solche Erinnerungen, die das Lebensziel der Eltern betreffen – ich glaube, so könnte man es formulieren. Dies Lebensziel findet sich in den Erbanlagen der Larve, und sie nimmt es noch einmal mit dem Hirnblut der Eltern auf. So kommt es, daß es viele Generationen dauern kann, bis sich das Lebensziel einer Blutlinie ändert, selbst wenn ein Einzelglied in dieser Kette fanatisch einem anderen Lebensziel nacheifert. Die Larve ißt also vom Hirnblut der Bluteltern, die so gleichzeitig die Rolle der Hirneltern bei der Larve einnehmen. Die Erinnerungen, die sie beim Blutfest aufnimmt, sind völlig frei von gefühlvollen Assoziationen. Man könnte sie als Fakten, als reine Tatsachen, bezeichnen, während die vererbten Erinnerungen von

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