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Analog 06

Analog 06

Titel: Analog 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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blieben konstant.
    Zu konstant. Tag für Tag beantwortete Cal die gleichen Fragen – scharfsinnige, einsichtige Fragen, doch immer die gleichen. Die Rosaner waren mit den Fakten schon vertraut, bevor sie den Vorlesungsraum betraten, sie hatten alle Bücher im voraus gelesen. Mit ihrem fotografischen Gedächtnis war das ein Kinderspiel. Ja, sie kannten die Fakten, aber es war eine andere Sache, die Fakten zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Und Fakten, die nicht von Verständnis begleitet wurden, wurden vom Hirnblut einfach nicht übermittelt. Das Hirnblut reichte nur Bruchstücke der fremden mathematischen Formeln weiter. Es würde viele Generationen dauern, bis sie sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügten.
    Sorrel und die Blutwarte versicherten Cal, daß durch die Zuchtauslese der Blutlinien bald Techniker zur Verfügung stehen würden, die sich mit Leichtigkeit an die UL-Hyperraum-Gesetze erinnerten. Das Lebensziel in ihrem Hirnblut würde sie zu dieser Art von Lernen anspornen. Aber bis dahin war es ein langsamer, mühevoller Weg.
    Also lehrte Cal. Unglaublich schnell begriffen die Rosaner, und am nächsten Tag erschienen neue Gesichter, die alles vergessen hatten. Also lehrte Cal.
    Während einer Nachtperiode begegnete er schließlich Dor Laff To Lin. Sogar für eine Rosanerin war sie sehr zart und hübsch. Bei dem geringsten Anlaß verzog sich ihr Mund zu einem fröhlichen Lachen. Und was noch besser war: Sie stellte neue Fragen.
    Neue Fragen! Ihre Hirn- und Blutlinien hatten Wissen und Verständnis im Hirnblut weitergetragen, und Dor Laff wußte alles. Wahrscheinlich wußte sie soviel wie Cal selbst, und als sie das Mitternachtalter erreicht hatte, stellte sie Fragen, die Cal nicht beantworten konnte. Er wurde rot und lächelte sie verlegen an. Sie lachte und arbeitete mit ihm zusammen. Sie lehrte den Rest der Klasse, ihm dabei zu helfen, Antworten auf ihre neuen Fragen zu finden. So arbeiteten sie sich immer tiefer in die Geheimnisse des Universums ein.
    Cal war noch nie einer Frau begegnet, mit der er gemeinsam lachen und arbeiten konnte, und er war auch noch nie Mitglied in einem Team gewesen, schon gar nicht ein leitendes Mitglied. Obwohl Dor Laff die Diskussion steuerte, war es doch Cals Verstand, der im Mittelpunkt stand; es war sein Verstand, dem Wissen und Einsichten entnommen wurden.
    Sie trieben über jene Linie hinaus, die er für die Grenze seiner Kreativität gehalten hatte. So fanden sie eine neue Wahrheit. Diese neue Wahrheit ergriffen sie dann und entwickelten sie weiter, so schnell und in so viele verschiedene Richtungen, wie es ein menschlicher Geist nie vermocht hätte.
    Aber Cal hatte nicht genug Zeit, um sich über ihre Überlegenheit den Kopf zu zerbrechen, denn sobald eine Gruppe mit einer neuen Idee davongestürmt war, brachte Dor Laff ihn dazu, daß er in eine andere Richtung arbeitete, wo sich eine neue Gruppe fand, die sich des neuen Aspektes annahm. Niemals zuvor hatte Cal einen solchen Überschwang verspürt, noch nie hatte er eine solche Lebensfreude genossen. Noch nie hatte er jemanden so sehr geliebt, der ihm soviel zu geben hatte.
    Die Morgendämmerung kam näher, und der Glanz in Dor Laffs Augen trübte sich, aber Cal war so sehr von seinen Gefühlen überwältigt, daß er es nicht bemerkte. Halb setzte er sich, halb stürzte er auf die Kante seines Vorlesungspodestes. Die Wellen der Erschöpfung holten ihn ein. „Dor Laff, du bist ein Wunder“, sagte er wie in Ekstase zu ihr.
    Sie kniete sich neben ihn und berührte seine Wange. Die weichen Blütenblätter ihrer Hand streiften über seine Stirn. „Wirst du dich an mich erinnern?“ fragte sie.
    Er sah ihr in die Augen. „Natürlich!“
    Sie umarmte ihn. „Ich danke dir dafür, daß ich dich in deiner Unsterblichkeit umarmen durfte.“ Sie wandte sich ab. „Leb wohl.“
    Er rief ihr etwas nach, aber sie kam nicht sofort zurück. Die Müdigkeit nach dreißig Stunden Arbeit übermannte ihn, und er schlief ein.
    Als er erwachte, war sie für immer verschwunden.
     
    „… und alles läuft außerordentlich gut“, sagte Sorrel gerade in sein Aufzeichnungsbuch, als Wandras Stimme aus dem Lautsprecher drang.
    „Sorrel, es gibt hier Schwierigkeiten.“ Wandras Stimme erhob sich über einen Hintergrund aus erregtem Stimmengewirr. „Cal hat die Beherrschung verloren, und das hat seine Folgen. Wir haben Glück, wenn sie uns nicht lynchen.“
    „Bleib ruhig“, rief er ihr zu, während er schon auf die Tür zueilte.

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