Analog 3
nervös. Bis jetzt hatte er mir gegenüber immer nur von „Druckausübung“ gesprochen, und ich wollte selbst mit einer so milden Sache nichts zu tun haben. Ich war mir sicher gewesen, daß mich die Kollegen nach Verdienst beurteilen würden. Das war ein Irrtum, den ich nie wieder begehen würde.
„Betrachten wir die Festanstellung realistisch, Sherry. Was könnte Struldbrugg veranlassen, einen festangestellten Fakultätsangehörigen zu entlassen?“
„Eine Mordanklage. Bei der Vergewaltigung eines Studenten mehr als einmal erwischt zu werden. Altersschwachsinn ungeheuerlichen Ausmaßes.“ Ich zählte die Gründe an den Fingern auf. „Allerdings haben die Älteren – und daher angeblich Besseren – einfach nicht den Mumm, um einen Mord zu begehen. Und was Vergewaltigung angeht, so bezweifle ich ebenfalls, daß sie das nötige Werkzeug dazu haben. Und senil sind sie bereits.“
„Das ist es, Sherry, Senilität!“ Mikes Augen leuchteten in seinem bleichen Gesicht auf, und ich dachte im stillen, er sähe wie Gollum aus. Er fischte in seinen Taschen nach den Schlüsseln, sperrte sein Labor auf, und wir traten ein. Die grüne Tafel war mit Benzolringen und Diagrammen von bekömmlichen Kohlehydraten wie Botulismus, Kurare, Maskarin und Atropin vollgekritzelt.
„Ich hatte geglaubt, du hättest versichert, du würdest niemandem weh tun!“
„Nur ruhig, Sherry.“ Mike las in meinem Gesicht und lachte. „Ich denke nicht daran, die Biervorräte mit Botulismus zu vergiften.“ Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber und griff nach den Süßigkeiten, dann bot er mir die Schachtel an. Gewöhnlicher Würfelzucker. Ich schüttelte den Kopf. Bei einem Assistentengehalt lernt man, Dinge zu meiden, die einem kostspielige Zahnarztbesuche eintragen.
„Es sieht ganz so aus“, meinte ich zu ihm und bemerkte, wie er rot im Gesicht wurde. Er konnte sich also nur schwer beherrschen, nicht wahr? Ich mußte aufpassen, ihn nicht gegen mich aufzubringen. „Wenn du nicht vorhast, jemanden zu vergiften, was sollen dann all diese Zeichnungen dort droben?“
„Sie haben etwas anderes gemein. Sie lähmen, weil sie eine Verbindung, ein Enzym namens Azetylcholin, zerstören.“
Wußte ich doch, daß es wie Azeton geklungen hatte.
„Sherry, hast du außer Literatur etwas anderes an der Universität gelernt?“ fragte Mike. Er lutschte müßig an einem weiteren Zuckerklumpen. „Azetylcholin ist das, was die Nervenimpulse in den Synapsen erregt. Wir wissen, daß es im Muskelgewebe Bewegungen auslöst. Ich habe an dem Beweis gearbeitet, daß es auch Nervenimpulse im Gehirn erregt.“
Mehr als eine Vorlesung brauchte ich nicht. „Was hat das mit uns zu tun?“
„Ohne das Azetylcholin können die Neuronen keine Nervenimpulse weiterleiten, und das Opfer kann sich nicht bewegen. Auf diese Weise wirkt Kurare giftig. Wird das Azetylcholin langsam aus dem Körper entfernt, wird einfach ein Zustand wie myasthenia gravis simuliert. In Wahrheit wird das Azetylcholin jedoch nicht entfernt. Seine Wirkung wird vielmehr mit einem Gegenmittel namens Azetylcholinesterase neutralisiert. Ich habe nicht nur herausgefunden, wie es entsteht, sondern auch eine kleine Menge davon synthetisch hergestellt.“
„Das klingt noch immer so, als würdest du eine Chemikalie in den Körper einführen. Eine giftige Chemikalie.“
„Sherry, der Körper enthält bereits Gifte. Und Azetylcholinesterase ist eine Substanz, die vom Körper auf natürliche Weise erzeugt wird. Ich verändere bloß das Gleichgewicht – weg von der Azetylcholinerzeugung und hin zur Azetylcholinesterase.“
„Wenn du die Fakultät noch weiter abbremst, kommen sie aus dem Nickerchen überhaupt nicht mehr heraus. Oder vielleicht erzeugen sie einfach zum Trotz mehr Azelcholin oder wie das Zeug heißt!“
„Man kann es nicht zum Trotz erzeugen! Wirklich, Sherry, was du alles nicht weißt … nun, macht nichts. Worauf es ankommt ist, daß die Nervenenden nur eine bestimmte Menge bewältigen können. Ich habe auf synthetischem Wege eine Azetylcholinesterase hergestellt, die so wirkungsvoll ist, daß nicht nur alles im Körper vorhandene Azetylcholin neutralisiert wird, sondern daß die Nervenstränge angeregt werden, es weiterhin auszuschalten.“
Einiges davon kam mir schließlich bekannt vor. „Ich lese“, sagte ich zu Mike, „o ja, manchmal lese ich etwas außer Kritiken oder Schularbeiten, daher weiß ich auch, daß es etwas gibt, was Alzheimersche Krankheit genannt wird.
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