Analog 3
schluckte den Rest des entsetzlichen Gesöffs hinunter und ging fort, einen Vorrat an Lösung in der Handtasche versteckt.
„Soll ich Kaffee machen?“ fragte ich die Sekretärin des Dekans.
„Die Heilige Samariterin Sherry“, kicherte der letzte überlebende Religionsprofessor der Universität. Die Neuigkeit, daß mir die Festanstellung verweigert worden war und ich jetzt bei Teilzeitbeschäftigung einen Kampf um die Anstellung durchzuschwitzen hatte, mußte sich an der Universität bereits herumgesprochen haben.
„Bei einem Kilopreis von 25 Dollar sollten sich Personen ohne feste Anstellung schleunigst das Kaffeetrinken abgewöhnen oder sich mit Trank begnügen“, bemerkte jemand. „Sie werden sowieso bald ganz beim Trank landen.“ Da ich gerade damit beschäftigt war, Kaffee, Zichorie und Mikes Lösung sorgfältig abzumessen, wandte ich mich nicht um, aber ich erkannte in der Sprecherin eine festangestellte Lesespezialistin, die sich bei ihrer von Struldbrugg benötigten Fähigkeit sicher fühlte und die ihr Sicherheitsgefühl blasiert machte. Ich lächelte still vor mich hin: Sie trank sieben Tassen vom Kaffee des Dekans am Tag.
„Wohl bekomm’s“, wünschte ich allen und entfernte mich.
Dr. Fledermaus hatte gestrahlt, als ich ihn zerknirscht um die Erlaubnis bat, ihm beim Unterricht zusehen zu dürfen. Er bildete sich ein, ich würde mich bei ihm lieb Kind machen wollen – mit einem Auge zweifellos auf der angebotenen Teilzeitbeschäftigung. In Wahrheit wollte ich den Fortschritt unseres Experimentes verfolgen. Sie müssen wissen, daß Fledermaus Unmengen von Kaffee trank.
Seine Vorlesung über „Mythen in den klassischen Stan-Lee-Comics“ verlief so klaglos, wie zu erwarten war. Bloß drei Studenten schnarchten. Ein Mädchen schärfte sich die Metallnägel, zwei weitere lagen mit offenem Mund in der Ecke, vom Trank ins Paradies versetzt, und sie wurden von ihren Kopfhörern noch höher emporgetragen. Fledermaus leierte eintönig weiter. Plötzlich sah er mit unsicheren Augen auf. Er rieb sich einen dunklen Fleck auf der Stirn.
„Wo sind wir denn stehengeblieben?“ fragte er zum zehnten Mal. „Ich wollte von etwas anderem reden. Comics! Pah, Mumpitz für Schwachsinnige! Wenn ihr einen wirklichen Mythos sucht, müßt ihr euch Shakespeare zuwenden, aber leider seid ihr alle, ihr Kinder, noch viel zu jung, um euch an die Lektüre von Shakespeare erinnern zu können. Es gab einst eine Zeit, als ich Student war, da ihn jeder studieren und auswendig lernen mußte. Dieser Tage jedoch – wie viele von euch kennen überhaupt die Nummer ihres nationalen Identitätsausweises?“
„Kennen Sie sie?“ rief ein Student von hinten im Saal herausfordernd.
Wie ein aufs Glatteis gelockter Narr fing Fledermaus an, seine aufzusagen – und begann bei der zweiten Hälfte zu stottern. Er hatte sie vergessen. Und wenn er schon seine Schulzeit aufs Tapet brachte, mußte er schnell in die zweite Kindheit zurückversinken.
„Ich erinnere mich aber an König Lear“, beteuerte er. „Blase, Sturmwind, und knalle mit den Backen …“ Zwei Studenten steckten die Daumen in die Backen, die sich bereits vor Kaugummi wölbten, und erzeugten laut knallende Geräusche, ehe sie ein Gelächter wie gutgenährte Elefantenkälber ausstießen.
„Zorn, blase …“ beharrte der alte Mann. Seine Nachäffer taten es ihm nach, gefolgt von denjenigen unter den anderen Studenten, die noch nicht das Bewußtsein verloren hatten. Immer mehr aus dem Häuschen, versuchte Fledermaus, sie zum Schweigen zu bringen. Seine Hände zitterten, als er sie hochbrachte, um sich die Brille zu richten; statt dessen stieß er sie zu Boden. Dabei zeigte sich mitten auf der Stirn eine große braune Stelle wie ein Leberfleck. Er hatte ihn noch nicht gehabt, als ich seinen Kaffee mit der Struldbrugg-Lösung versetzte. Ich mußte Mike fragen, was es mit dieser Pigmentierung auf sich hatte.
„Husch!“ sang die Klasse und ahmte den Wind nach. Pustend und blasend gingen sie auf Fledermaus zu, der unverständlich brabbelte und zusammenbrach.
Einen Augenblick lang fühlte ich Mitleid mit dem über dem Katheder zusammengesunkenen Körper. Ich bin ein närrischer, liebenswerter alter Mann … Er hätte mich ausgeschlossen, verhungern lassen, zugesehen, wie mich die Drogen zur Null gemacht hätten. Er war mein Feind. Ich sprang auf und übernahm die Gruppe.
„Mach dir keine Sorgen über Nebenwirkungen wie die beobachtete Verfärbung“, sagte
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