Analog 3
Die Regenbogenpresse …“
„Wie kannst du solchen Dreck lesen?“
„Wie kannst du diesen Dreck lutschen?“ Ich deutete auf den Zucker. „Du hast mich zusammengestaucht, weil ich keine Wissenschaftlerin bin. Wenn ich aber die Boulevardblätter nicht lese, woher erfahre ich dann überhaupt etwas von den Naturwissenschaften? In dem Artikel, den ich las, wurde die Behauptung aufgestellt, daß Azetylcholinmangel zu frühzeitiger Senilität führe – im Verlauf von rund zehn Jahren.“
„Meine Lösung führt zu einem Zustand, der der Alzheimerschen Krankheit ähnelt.“
„Mike, weder du noch ich können zehn Jahre warten!“
„Setz dich!“ Er öffnete einen Schrank und holte zwei mit eklig eitriger Flüssigkeit gefüllte Fläschchen hervor.
„Ist das deine Azetylcholinesterase?“ Ich streckte die Hand aus, um eines der Fläschchen anzufassen.
„Nicht!“ schrie er und schlug meine Hand weg. „Wenn du es verschüttest, könntest du etwas durch die Haut absorbieren. Das ist das Enzym selbst. Die andere Flüssigkeit ist eine Lösung, die die Produktion der benötigten Azetylcholinesterase anregt. Der Anwender kann sie sicherer herumtragen, denn sie muß innerlich eingenommen werden, um zu wirken. Anders als das Enzym, das injiziert werden muß oder durch Hautkontakt absorbiert werden kann.“
So ein unscheinbar aussehendes Zeug. Ich starrte die Fläschchen an, als enthielten sie meine Zukunft. Sie enthielten sie ja auch.
„In beiden Lösungen gibt es eine mächtige Dosis von Hormonen, vornehmlich Thyroiden. Das ist auch der Grund, warum wir uns über den Zeitfaktor nicht den Kopf zu zerbrechen brauchen. Während die Azetylcholinesterase in den Neuronen die Enzymproduktion lahmlegt, lösen die Thyroide einen anderen Zustand aus – Cockaynes Syndrom. Das ist etwas ganz Tragisches. Wer mit Cockaynes Syndrom geboren wird, hat eine Lebenserwartung von vielleicht sechs Jahren. Man stirbt an Altersschwäche. Meine Lösung ahmt Cockaynes Syndrom lediglich nach. Wie bereits gesagt, habe ich kein Interesse daran, jemandem das Leben zu rauben.“
„Wenn ich der Fakultät dieses Zeug eingebe“, sagte ich langsam, „vertrotteln sie in … wie langer Zeit?“
„Längstens in einigen Monaten. Und wir wären sicher.“
Er wischte die Tafel ab und kaute am Zucker, während ich mich bemühte, ihm Glauben zu schenken.
„Warum willst du, daß ich mitmache?“
„Du bist mein Alibi. Wer würde denn schon eine Literaturkritikerin verdächtigen, Neuralenzyme zu vernichten?“
Der bloße Gedanke war so lachhaft, daß wir beide in Kichern ausbrachen.
„Ich bin also dein Alibi. Und mein Büro liegt näher bei den meisten Fakultätsmitgliedern als deines. Niemand zeigt sich überrascht, wenn ich den ganzen Tag aus und ein gehe. Du willst, daß ich ihnen das Mittel eingebe, nicht wahr?“
Falls ich erwischt wurde, brauchte Mike nur zu leugnen, etwas von meinem Vorhaben zu wissen. Ich wäre bloß eine weitere Psychotikerin, die mit Chemikalien um sich schleuderte. Es konnte mir psychologische Reintegration drohen, aber Arbeitslosigkeit war nicht besser.
„Sherry, machst du mit?“
Ich nickte, und er grinste. Mork, wie froh mußte er sein, mit jemandem über seine Arbeit sprechen zu können, auch wenn es keine Naturwissenschaftlerin war. Er schenkte Drinks ein (mich schüttelte es schon beim Anblick des Etiketts auf der Flasche), und die Spannung wich etwas. Beinahe hätte ich hysterisch zu lachen angefangen. Ich meine, ich hatte das alles nicht ernstlich vor, nicht wahr?
Nein, keineswegs. Nicht ernstlich. Ich würde während des ganzen Weges zum sicheren Arbeitsplatz lachen.
„Was soll ich zuerst tun?“ fragte ich.
„Schau“, sagte Mike. „Ich bin die Herstellung, du der Vertrieb. Ich möchte nicht einmal wissen, wie du die Eingabe anstellst. Ich gehe jedoch davon aus, daß du das Stimulans verwenden willst, nicht das Enzym selbst, um das Risiko für dich selbst möglichst klein zu halten. Das andere Mittel würde ich dir sowieso nicht anvertrauen. Mach es, wie du willst; hältst du mich für Doktor Sabin, der mit seinem Zeug von Schule zu Schule hausieren geht?“
„Du hast mit dem Zucker genug zu tun“, sagte ich. „Das ist möglicherweise auch der Grund, warum so viele Ausgeflippte in der Gegend schlechte Zähne haben.“
Etwas in Mikes Gesicht führte dazu, daß mir der billige Fusel im Magen aufstieß. Wenn er sich gegen seine Lehrkanzel wandte, konnte er sich auch gegen mich wenden. Ich
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