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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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tauchen ihre Eltern auf, müde und ausgelaugt, wie ein kaputtes Herz schleppen sie die ganze Geschichte ihres Landes, ihres endlosen Überlebenskampfes, der irgendwann doch zu Ende geht, ihnen aber trotzdem keine Erleichterung verschafft.
    Der Film soll Massenszenen enthalten, in denen Blut und Wein fließen, in denen Frauentränen fließen und Tränen betrunkener Männer, in denen heißer Sommerregen die Festtafeln flutet und die Menschen, die ihre Sicherheit und Ruhe feiern, sich umarmen und mit ersterbenden Stimmen Rauschlieder singen, okay, sag ich, genau so soll der Film werden, sehr gut, Kamera aus, während der Aufnahmen zu meinem Film über die Achtziger ist keinem Pisser was passiert.
     
1982 Agitpunkt.
    Ich bin acht und fange an, mich für das Leben der Erwachsenen zu interessieren. Ihre Unbefangenheit flößt mir Angst ein – die Erwachsenen leben freimütig und unbeschwert, fühlen sich sicher in einem Raum mit mir, kontrollieren ihn, wissen, auf welchen Knopf sie drücken müssen, um die verborgenen Seitentüren zu öffnen, hinter denen die Triebwerke und Projektoren stehen, die Erwachsenen regeln die Beleuchtung und schieben die Kulissen, ihre Beziehungen strotzen vor Leidenschaft und Verlangen, ich verstehe nicht, sie sind in der Lage, sich gleichzeitig zu lieben und zu hassen, und tun das auch. Das reizt mich. Ich möchte nicht erwachsen sein – ich habe Angst, die Distanz zu ihrem Leben zu verlieren; ich habe Angst, ich könnte die phantastischen Vertragsbedingungen nicht mehr schätzen, die sie mir bieten, wenn ich mich darauf einlasse. Schlimmer noch, dank meinem derzeitigen sozialen Status als Achtjähriger genieße ich unsichtbare Vorzüge und Vergünstigungen: die Erwachsenen spüren, daß keinerlei Gefahr von mir ausgeht, und lassen mich deshalb einfach so an sich heran, sie geben mir die Möglichkeit, ungehindert all die unscheinbaren Kleinigkeiten ihres Alltagslebens in Augenschein zu nehmen, in ihren Wäscheschränken zu wühlen, ihre Schreibtische mit den miesen sowjetischen Kondomen zu durchsuchen, die Schubladen mit den Liebesbriefen zu öffnen, in den Kofferraum voller Leichen und Dämonen zu schauen; sie kommen gar nicht auf die Idee, daß ich sie im Visier haben könnte, daß ich schon für jeden von ihnen eine persönliche Akte angelegt und in meinem kindlichen Gedächtnis für jeden eine extra Kamera installiert habe, daß sie keine Chance haben, dieser Kamera, diesem Gefängnis, meinem Gedächtnis zu entkommen, mein Gedächtnis hat Widerhaken und ist anspruchslos wie der wilde Wein an der Hauswand, ich muß es nicht versorgen, es ernährt sich von meinen eigenen Säften, indem es die fetten, saftigen Brocken der Vergangenheit mit Gift durchtränkt: meine eigene Vergangenheit, die fremde Vergangenheit, die gemeinsame Vergangenheit. Mein Gedächtnis blutet, es hat sich an den scharfen Kanten der Wirklichkeit aufgerissen, es behält Male und Narben zurück, an denen ich diese langsame, aber unaufhaltsame Bewegung vorwärts und aufwärts zurückverfolgen kann, eine Bewegung an der Hauswand empor, festgekrallt an Vorsprüngen und Ziegeln, Antennen und Fensterbrettern, immer nach oben, Blicke in Fenster und trotzdem in sicherer Entfernung, mein Gedächtnis ist eine Einbahnstraße, niemand bemerkt seine Gegenwart, niemand sieht, wie es die Mauern seines Hauses überzieht und in den Ritzen und Spalten scharfe, tiefe Wurzeln schlägt. Es war ein Fehler, mich zu ignorieren, ein Fehler, mich so abweisend zu behandeln, mit mir war immer auch mein Gedächtnis anwesend, es hat sich viel schneller und dynamischer entwickelt als zum Beispiel meine Sexualität oder mein Patriotismus. Zum Teil hat es sie ersetzt – sowohl meine Sexualität als auch meinen Patriotismus; das Wissen um verbotene, geheime, erregende Dinge habe ich lange Zeit fast ausschließlich als Geschlechtstrieb wahrgenommen, auch heute habe ich mehr Spaß an Sex im Plusquamperfekt als im Futur. Ich hätte ein Fetischist werden sollen, und ich bin auch einer geworden, es hat mir nur keiner etwas davon gesagt, und selbst habe ich es erst herausgefunden, als es schon keinen Sinn mehr hatte, noch etwas zu ändern. Mit dem Patriotismus war es dasselbe, wenn mir jemand mit Heimatliebe kam, nickte ich meistens und erzählte jedes Mal eine bestimmte, konkrete Liebesgeschichte. Aus einem so gearteten Gedächtnis auszubrechen ist unheimlich schwer, allzu oft und zu penibel nehme ich Inventuren und Generalüberholungen vor, ängstlich

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