Anarchy in the UKR
Naivität, die angeborene Neigung, andere zu verarschen und dabei auch vor den oben erwähnten Göttern nicht haltzumachen – ja, aber keine Bosheit, Bosheit wird es in dem Film keine geben, da muß ich euch enttäuschen.
Außerdem braucht der Film auf jeden Fall ein Verbrechen und viele Banditen und Spekulanten, gemeine Übertreter sozialistischer Rechtsnormen, verrückte Nebenszenen, mit einer Axt hinter dem Penner her, ein Messer im Diplomatenköfferchen, Rosendornen, die in der Kehle stecken, unzählige jugendliche Arschgesichter, die mit kaputten Flaschen aufeinander losgehen, sich die Schädel rasieren, um die Schrammen zu zeigen, sich eigenhändig tätowieren, um die versehrte Haut, die unverständlichen Pentagramme spazierenzutragen, das Gefühl von Stolz und Mut; das Verbrechen soll einen nicht runterziehen; sie hat ja einen Beigeschmack von Bitterkeit und Verzweiflung, die Unmöglichkeit, den Mechanismus des ringsum ablaufenden Lebens zu verstehen, seine barocken Dekorationen, in denen du, wie sehr du dich auch fürchtest und mit deiner kaputten Flasche winkst, doch nur einer der unzähligen Statisten bist, die über den Bildschirm flimmern, von den Augen der Zuschauer für einen Moment fixiert werden und dann für immer in der schwarzen Senke des Abspanns verschwinden. Das Verbrechen soll hier die Bedingungen von Liebe und Geburt plastischer und die Umstände des Todes eher dunkel und geheimnisvoll werden lassen, das Verbrechen ist mehr ein Gewürz, das den sonnigen Feldern beigegeben wird, um alle Details bis ins letzte auszukosten, die nach und nach deine Existenz erfüllen und sich für dich nach und nach aus dem allgemeinen, vorgefertigten Gesamtszenario herausheben.
Wo wir gerade bei den Details sind. Details können die Hauptfiguren betreffen, zum Beispiel ihre Kleidung, diverser Weiberkram vom Schwarzmarkt, über Dritte weiterverkauft, diverser Klimbim, der den Heldinnen dann von den zitternden Händen betrunkener Männer heruntergerissen wird und sich so in deinem Gedächtnis und deinem persönlichen Katalog festsetzt; das können alltägliche Dinge sein – bunte synthetische Teppiche, auf die man die Särge mit den Verblichenen stellt, Fliegerjacken aus Leder, von der Armee mitgebracht und in der ersten nächtlichen Messerstecherei aufgeschlitzt, mechanische Uhren, gelbe Plastikohrclips, Offiziersgürtel, Lippenstifte, selbstgebaute Benzinfeuerzeuge, die funkeln und schweren Erdölgeruch verströmen, schwarze, spitze Spangen, die den Frauen aus dem Haar fallen und unter Autositzen verschwinden, aber niemand macht sich die Mühe, an der Tankstelle in dem dunklen, nächtlichen Fahrzeug zwischen der verstreuten Kleidung und der echten Erwachsenenliebe nach ihnen zu suchen.
Die Filmhandlungen entwickeln sich langsam und folgerichtig, alles ist durchdacht, Zufälle bleiben die Ausnahme. Es muß viel Handlung geben, sie wird all den Raum ausfüllen, den du erhalten hast, um ihn dir Untertan zu machen und zu bewohnen; die bewegliche, plastische Struktur der Handlung soll den allmorgendlich erwärmten Himmel stützen, damit er über dir festen und sicheren Halt hat, nicht durchhängt und von permanenten Katastrophen zum Einsturz gebracht wird. Die Handlung wird sich vor deinen Augen abspielen, nicht unbedingt mit deiner direkten Beteiligung, aber immer mit deinem unsichtbaren inneren Einverständnis, mit deiner Einbeziehung in den Kontext, so daß du in den Fingerspitzen fühlst, wie sich deine Lebenssituation ändert, wie sie sich vor deinen Augen entfaltet, die Handlung muß den leeren Raum ausfüllen, der zwischen den Helden und der sie umgebenden Luft entsteht; in dem Film über meine Achtziger gibt es einfach keine Leere, er muß dicht und mit einer großen Zahl an Figuren, Gesten, Handlungen ausgefüllt sein, diese Handlungen erklären vielfach die allgemeine Dichte des Inhalts, sie sind widersinnig und häufig nicht gerechtfertigt, zeigen übertrieben große Risikofreude und Expression, meine Hauptfiguren verheiraten sich aus Prinzip und erhängen sich aus Protest, sie bringen Kinder zur Welt, weil sie nicht nein sagen können, und lieben sich, weil sie sich nicht zügeln können, aus Leichtsinn und Abenteuerlust lassen sie sich auf Verbrechen ein, sie lieben ihr Vaterland ohne jeden ideologischen Unterton, die meisten von ihnen sind jung und selbstbewußt, wissen selbst, daß der Zufall sie an diesem abgefahrenen Ort in dieser seltsamen Zeit zur Welt gebracht hat, und irgendwo im Hintergrund
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