Anarchy in the UKR
der totalen Ablehnung von Vermittlern, mit einer überspitzten Gewißheit, dem idealen Sender anzuhängen, der sich dank deiner unmittelbaren Beteiligung etabliert hat, den es dank deiner Beteiligung überhaupt erst gibt. Du zahlst zweihundert Eier und bekommst deine Musik, du weißt, daß es in dieser Stadt, auf diesen Straßen noch mehr solche wie dich gibt, du kennst keinen einzigen von ihnen, aber wenn dein Radio auch im nächsten Jahr noch auf Sendung ist, heißt das, sie sind alle hier in der Nähe – deine Brüder und Schwestern, die dich in deinem großen Protest gegen unbekannt unterstützen.
Wie sollte der ideale Sender sein? Wie jedes kommunistische Modell, wie jede Struktur, die mit den Begriffen Glauben und Religion zu tun hat, verlangt der ideale Sender die totale Einfachheit. In diesem überfüllten, mit kommerziellem Pop vollgestopften Äther einer Megapolis kann der ideale Sender kaum überleben, es klappt sowieso nicht, sich mit den Sponsoren zu einigen, diese Faschisten machen ihn mit ihrem eigenen Format tot, schikanieren dich für jeden gespendeten Cent und lassen dich bis zum Ende aller Tage für jeden Dollar schuften, den sie investieren, weil sie sich unter Kommunismus kostenlose Reklameblöcke vorstellen. Der ideale Sender kann sich auf Spendenbasis kaum lange halten, früher oder später verliert jede gute Christenseele den letzten Rest Geduld und Samaritertum und begibt sich auf Weiden, wo das Gras grüner und saftiger und die Steuern niedrig und übersichtlich sind. Es muß anders funktionieren.
Sollten Neophyten zu mir kommen, eine Gruppe von Neophyten, die sich nicht mit gemeinsamen Pflichten und Ritualen belasten, sollten sie zu mir kommen und sagen – Alter, wir können so nicht weiter leben, wir müssen etwas ändern, Alter, laß uns doch zum Beispiel den idealen Sender machen, los, mach du uns den Sender, wir machen mit, dann gehe ich ungefähr so vor: ich führe sie auf völlig unbesiedelte Territorien, ich bin sicher, daß es die noch gibt, man muß nur richtig suchen, ich werde sie vierzig Jahre lang führen, ich führe sie heraus mit einem tragbaren, batteriebetriebenen Transistor, damit sie all die Jahre hindurch nicht vergessen, wovor wir fliehen, was wir gemeinsam abschütteln wollen, und wenn Gott es satt hat, vor uns her zu ziehen und uns mit Manna und anderen humanitären Hilfslieferungen zu versorgen, uns schließlich ein Stück Luft freimacht, wenn unser verdammter Transistor endlich schweigt und nichts mehr empfängt, werde ich sagen – wir sind da, Brüder und Schwestern, wir sind am Ziel, macht Feuer und holt die Konserven raus.
Immer stärkere Isolation, immer weitere Entfremdung, immer tiefere Risse in der Luft, immer weniger Gesprächspartner, immer offenkundigere Ignoranz von alten Bekannten, Kommunikation ist eine grausame und undankbare Sache, die ihre Aktualität verliert, keiner lernt sie mehr, sieh zu, wie du aus dem leeren, dunklen Stollen herauskletterst, aus diesen engen und fest verschlossenen Kanalschächten, in die dich die Zeit und dein Wunsch, durchzukriechen, getrieben haben. Nach welchem Prinzip, nach welchen auf den ersten Blick unscheinbaren Anzeichen findest du Gleichgesinnte, potentielle Brüder und Schwestern, die bislang noch nichts von deiner Existenz ahnen? Kann die Auswahl der Songs oder die Lautstärke, in der sie gehört werden, oder der Grad der Abhängigkeit von ihnen so ein Prinzip sein? Offensichtlich schon. Das funktioniert ziemlich überzeugend – du und ich hören dieselbe Musik, unsere Abhängigkeit entwickelt sich in dieselbe Richtung, wir bekommen dieselben Medikamente, sind von denselben Helden enttäuscht, für uns endet alles gleichermaßen traurig, und vor allem bleibt es unbemerkt, weil keiner unseren musikalischen Vorlieben Beachtung schenkt, noch Bedeutung beimißt. Was ein Fehler ist.
Der ideale Sender kann eine Art Gemeindeleben sein. Oder kirchliches Leben, was im Grunde viele Ähnlichkeiten hat. Eine Gemeinde hat ihr eigenes Format, genügend Radioempfänger zu Hause, eine Gemeinde hört auf ihre ständig bekifften DJs, die die großen Risse in der Luft benutzen, um in eine andere Geometrie überzutreten, mit besserer Musik; das, was uns trennt, was dich und mich jeglicher Hoffnung beraubt, ist für sie nur eine zusätzliche Möglichkeit, der umliegenden Landschaft zu entschlüpfen, den schmalen und gefährlichen Pfad entlang zu laufen, der sich durch die schwarze Leere ihres Gedächtnisses und ihrer
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