Der Schädelschrank
In dieser Nacht war so gut wie niemand unterwegs. Selbst die Betrunkenen grölten nicht. In den Gräben neben den Wegen spülte der Regen allmählich den Abfall weg. Da war der Gestank nicht mehr so schlimm, und die Menschen konnten wieder durchatmen.
Vor einer Treppe blieb der Schlächter stehen. Sie war sehr eng und uneben, führte in die Oberstadt und war als Mördertreppe bekannt geworden. Es gab genügend Menschen, die sie schon hinabgefallen waren und zwei Tage später begraben worden waren.
Amos Burke fühlte sich als Henker und Schlächter. So trat er auf. Es gab niemanden hinter den Festungsmauern der Stadt, der keine Angst vor ihm gehabt hätte. Burke war allgemein bekannt. Er diente der weltlichen und der geistlichen Macht als Bestrafen und in dieser Nacht hatte er einen besonderen Auftrag zu erledigen.
Er musste eine Frau töten, so hatte es der Großinquisitor gewünscht. Die Frau war schön, sie konnte Männer verrückt machen, doch sie war bisher nie als Hexe angeklagt worden. Natürlich hatte ihre Schönheit Neider auf den Plan gerufen. Andere Weiber hetzten gegen sie, liefen zur Gerichtsbarkeit und legten falsches Zeugnis ab.
Es war nichts geschehen. Jede Diffamierung wurde abgewiesen, und das nur aus einem Grund.
Der Inquisitor wollte seine Geliebte nicht verlieren. Er und Sabrina gehörten zusammen. Die beiden waren ein Paar. Heimlich, versteht sich. Niemand wusste etwas davon. Nie waren ihre Treffen beobachtet worden. Sabrina gab dem Inquisitor alles. Aber sie wusste auch, dass sie vorsichtig sein musste.
Beide waren es bisher gewesen. Bis der Inquisitor herausgefunden hatte, dass ihn Sabrina betrog. Ein junger Mann war es, viel jünger als er. Irgendein hergelaufener Strolch und Sänger, der in der Stadt sein Geld verdienen wollte, indem er in die Gasthäuser ging und Lieder zur Laute sang.
Auf ihn war Sabrina getroffen.
In einer Scheune hatten sie sich geliebt, aber nicht bemerkt, dass sie beobachtet worden waren. Die Magd des Bauern hatte sie angeschwärzt und dafür eine Belohnung bekommen. Man hatte ihr befohlen zu schweigen und ihr mit dem Tod gedroht, sollte sie nicht gehorchen.
jetzt war Burke unterwegs.
Er stieg die Stufen hoch. In seinem Innern gab es keinen Hass, keine Wut. Gefühle kannte er nicht. Er würde seine Aufgabe erledigen, damit hatte es sich dann.
Er würde ihr den Kopf abschlagen. Nicht mehr und nicht weniger. Den Kopf würde er einpacken, mitnehmen und ihn dem Inquisitor überreichen.
Er kicherte, als er daran dachte. Wieder mal eine Aufgabe erledigen. Das Grauen in die Oberstadt bringen, wo die Geistlichkeit wohnte und einige reiche Schranzen, die sich in der Nähe der so »frommen« Männer ihre Seligkeit erkaufen wollten.
Da lebte auch Sabrina.
Nicht in einem der prächtigen Häuser. Ihr Zimmer befand sich in einem Hinterhof, in einem Gartenhaus, das ebenfalls der hohen Geistlichkeit gehörte. Es stand sehr abseits und einsam. Verborgen hinter dichtem Gestrüpp und von einer Seite noch durch eine Mauer geschützt.
Sabrina lebte nicht immer dort. Nur zu bestimmten Zeiten musste sie sich hineinschleichen und auf den Inquisitor warten, der die versteckten Wege ebenfalls kannte. Auch in dieser Nacht würde sie wieder warten, aber diesmal würde ein anderer kommen...
Der Tod auf zwei Beinen hatte die Oberstadt erreicht. Der Regen hatte seine Haare ebenso durchnässt wie seinen Umhang, der wie ein nasser Sack an seinem Rücken entlang nach unten hing. Es war alles anders in dieser Nacht. In der Ferne grummelte es. Das Gewitter war im Anmarsch. Viele Menschen würden sich verkriechen und Blitz und Donner als Strafe des Himmels ansehen.
Der Regen war stärker geworden. Als wären unzählige Kugeln vom Himmel gefallen, so klatschten die Tropfen auf den Boden. Sie schlugen gegen die Blätter der Büsche oder fegten letzte Blüten von den Bäumen. Immer wieder fuhr ein Windstoß herbei und schnappte zu. Er schleuderte dem Henker das Wasser ins Gesicht, das dadurch ein Aussehen bekam, als würden seine Züge verlaufen.
Er ging durch den Garten. Die Häuser der Geistlichkeit lagen an seiner linken Seite. Dahinter ragte der Kirchturm als alles beobachtender Wächter auf.
Er lief über einen schmalen Pfad und brach schließlich durch eine Hecke. Jetzt war die Bahn frei.
Trotzdem glitt er in Deckung eines hohen Strauchs. Er wollte das kleine Haus beobachten. Licht gab es nicht in seinem Innern. Die Kerzen durften nicht brennen. Nicht nur die Mauern waren Schutz,
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