Anarchy in the UKR
Hysterisch-Verkatertes, wie man es von Prügeleien in Kommunalkaküchen kennt, auf Revolutionsbarrikaden weniger. Irgendwelche Streitigkeiten unter Rentnern, Demokratiegelaber, durchgeknallte Kirchenheinis vom Moskauer Patriarchat, die um uns herumlaufen und Dämonen austreiben – wie bei einer richtigen Revolution fehlt es an Waffen, also habe ich mir eine Gaspistole gekauft und sie dem Chef der Wachtruppe gegeben, aber was nützt schon so eine Gaspistole, das ist so, als würde man ein Einmalfeuerzeug kaufen. Der Kreuzer Aurora fehlt, um ein paar Gebäude am Platz wegzuputzen, vielleicht nicht alle, die Universität könnte man stehen lassen, das Hotel auch, man müßte einfach nur das linke Publikum vertreiben, an der Rezeption die Kasse konfiszieren und die Nutten freilassen. Ich persönlich würde mir ganz gern ein paar Salven auf die Kulturverwaltung von Charkiw genehmigen.
Daraus ließe sich ein Film machen. Sagen wir, über einen jungen Investor aus dem Westen, der in das kalte, fremde Land kommt, um sein Business aufzuziehen. Seine Freunde, Investoren aus dem Westen, junge, imperialistische Haifische wie er, raten ihm ab – wo willst du hin, ein ätzendes Land, total perspektivlos, Korruption und Syphilis auf Schritt und Tritt. Ganz zu schweigen vom Namen ihres Präsidenten. Aber selbst dieses letzte, überzeugendste Argument kann ihn nicht aufhalten. Er hat keine Ahnung, wie es da läuft, kommt in diese Stadt im äußersten Osten des Landes, mietet sich in dem alten Hotel ein, in einem Zimmer, dessen Fenster auf den Platz hinausgehen. Er wählt bewußt den heruntergekommenen Altbau mit seinen kahlen Wänden und den maroden Türen, mich führt ihr nicht hinters Licht, denkt er, ich kenne diese verfluchten Slawen, ich lass’ mich nicht verarschen, keinen Cent zuviel, knappes Trinkgeld, bescheidene Unterkunft, keine Zwischenhändler, alles so einfach wie möglich – ein normales Zimmer im siebten Stock (vom Fenster aus sieht man das Lenin-Denkmal, dahinter die Universität, und dann verschwindet alles im Morgennebel), ein kurzer Besuch beim Gouverneur (ein Schlitzohr, er schenkt ihm warum auch immer sein Buch, auch so ein schreibender Nehru), ein bescheidenes Frühstück in einem irischen Pub, nur wenig Alkohol und dann zurück ins Hotel, ausruhen vor dem Treffen mit den Geschäftspartnern. Er spürt die angespannte Atmosphäre in der Stadt, alle sprechen über die Wahlen, aber das juckt ihn eigentlich nicht. Nachdem er ins Hotel zurückgekehrt ist, fällt er ins Bett, wickelt sich in die an einigen Stellen angesengte Decke und schläft schnell ein.
Er erwacht am Nachmittag vom aufgeregten tausendfachen Atmen draußen. Als er ans Fenster tritt, sieht er unten 80000 Menschen. Da hast du’s, denkt er, während ich geschlafen habe, hat die Revolution begonnen.
Ein paar Mal versucht er, in seinem Büro anzurufen, aber dort machen sie sich gar keinen Begriff davon, wo er jetzt steckt, er zappt sich durch die drei Sender, die die Hotelglotze hergibt, aber die zeigen keinen Furz, sogar bei der Sekretärin des Schlitzohrs ruft er an, aber dort herrscht Grabesstille, dann rennt er wieder zum Fenster, schaut auf die Menge da unten, blickt nach links, zum Fenster der Gebietsverwaltung, und sieht dort Dutzende von Angestellten ebenfalls aus dem Fenster schauen, die haben wahrscheinlich auch alles verpennt.
Da hast du’s, denkt er wieder, meine Freunde haben’s gleich gesagt. Und was nun, überlegt er, da hilft auch kein Anruf bei ihrem Präsidenten. Wie war noch gleich sein Name?
2. Das Scheiß-Lenin-Denkmal.
Was könnte weiter mit ihm passieren? Er bleibt bis zum Abend auf seinem Zimmer, die Geschäftspartner, mit denen er verabredet war, hat er nicht erreicht, dann zieht er los und stößt schon im Flur auf Revolutionäre, die an den Wänden lehnen wie gefangene islamische Terroristen aus den CNN-News, er rennt die Treppe nach unten, ohne auf den Fahrstuhl zu warten, und drängelt sich durch die Menschenmassen im Foyer auf den Platz. Es ist kalt, irgendwer rennt kreuz und quer in der Gegend herum, der Platz ist auch nur schwach erleuchtet, deshalb geht er zu diesem gräßlichen Lenin-Denkmal, wo die Polizisten stehen. Er glaubt irgendwie, daß ihn in dem Land nur die Polizei schützen kann, dabei ist es gerade umgekehrt. Er steht am Lenin-Denkmal, Lenin schwebt über ihm und zeigt mit seiner Hand irgendwohin zur Seite, dahin, wo er hergekommen ist, fucking yankee , deutet Lenin ihm an, go home , er ist
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