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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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immer versperrt, was uns nicht paßte. Wir fanden eine Brandschutzaxt, knackten das Vorhängeschloß, die Tür sprang auf, und wir traten der Reihe nach ein. Auf dem Dachboden hausten Vögel. Viele Vögel. Sie saßen auf den Querbalken, der ganze Boden war mit Federn und Nestern bedeckt. Sie saßen in langen Reihen, eng aneinandergeschmiegt, und beobachteten uns. Wir bewegten uns vorsichtig, um nicht auf ein Nest zu treten, trampelten mit unseren Turnschuhen und Profilschuhen die trockene Vogelscheiße breit und wischten uns die Spinnenweben vom Gesicht. Plötzlich trat jemand auf eine alte Tafel, die unter seinen Füßen trocken krachte, es klang wie eine Explosion. Die Vögel flogen auf, sie flatterten zwischen uns in einem dichten Schwarm, wichen uns aus, streiften uns nur hin und wieder mit ihren Flügeln, sie suchten fieberhaft nach einem Fluchtweg und warfen sich dabei von einer Ecke in die andere, die Luft erfüllte sich mit ihrer Bewegung, es waren so viele, daß wir verwundert innehielten und von unten auf diesen Raum sahen, der randvoll war mit Vögeln, und wir ahnten, daß es solche Zeitklumpen und Raumstücke, in denen so viele Vögel, so viele Freunde, so viel Bewegung und Ruhe zusammenkommen, nicht so oft gibt.
    Ein Jahr später, in Charkiw, war ich zufällig auf einem sonderbaren Konzert. Ein Bekannter von mir kandidierte für die Wahlen, mietete im Stadtzentrum eine große Konzerthalle, hängte auf der Bühne sein Porträt auf und veranstaltete eine kostenlose Show. Nach dem Konzert sind wir in sein Parteibüro gegangen, um die erfolgreiche Aktion zu würdigen. Das Büro war in der Sumska-Straße, die Fenster gingen zum Theater hinaus. Wir tranken die ganze Nacht hindurch, irgend jemand schlief ein, ein anderer wachte wieder auf, irgendwann gegen Morgen wachte ich ebenfalls auf und wollte nach Hause. Aber die Tür war verschlossen. Wer die Schlüssel hatte, wußte ich nicht, alle schliefen. Da sah ich eine andere Tür, öffnete sie und stieg auf den Dachboden. Ich lief den Boden entlang, fand eine Dachluke, stieg hinaus und stand unter dem Charkiwer Aprilhimmel. Es war so gegen fünf, sechs Uhr morgens, auf den Dächern lag frischer Nebel, alles war leer, still, und das Dach schepperte unter den Füßen mit seinem ganzen Blech. Ich überlegte und ging Richtung Opernhaus. Als ich das Dach des ersten Gebäudes geschafft hatte, stieg ich aufs nächste, weiter war es gefährlicher, das Dach war nebelnaß, ich rutschte aus und segelte in die Tiefe. Doch es gelang mir, mich an einen Vorsprung zu klammern, das Blech bohrte sich in meine Hand, ich spürte, wie Blut austrat, doch was sollte ich tun, ich zog mich hoch und schob meinen Körper über das feuchte Metall. Das erinnert mich an etwas, dachte ich. Als ich an einer sicheren Stelle angekommen war, ging ich vorsichtig weiter. Vor mir war eine Mauer, jemand hatte eine rostige Leiter angelehnt, ich stieg hinauf, lief bis ans Ende und hielt Ausschau – das nächste Dach lag unter mir und glänzte feucht. Ich schwang mich hinab und ließ los. Unten aufgekommen, versuchte ich mich auf den Beinen zu halten, glitt aber wieder aus und fing an zu rutschen. Die Dachrinne hat mich gerettet, ich geriet mit einem Bein in das Rohr, drehte mich vorsichtig auf den Bauch und kletterte wieder hoch. Gegen sechs kam ich am letzten Gebäude der Häuserzeile an, kroch an den Rand des Daches und sah zum Himmel. Der Himmel lag über mir, ich lag auf dem Dach und bemühte mich nach Kräften, die Balance zu halten. Sechs Uhr morgens, Frühjahr ’92. Ich sah nach unten, aber dort hatte bereits eine ganz andere Straße, hatte eine ganz andere Zeit begonnen.

Teil Drei
    Red Down Town
1. Das Hotel »Charkiw«
    mit seinen langen Korridoren und gelben Laken, seinen unzähligen leeren Zimmern und Kellern, mit seiner verwirrenden, ziemlich heruntergekommenen Infrastruktur, erwacht jeden Abend zum Leben, man kann hier wohnen, ohne jemals die Rezeption zu passieren, irgendwann kam es jemandem in den Sinn, dieses traumhafte Hotel mitten in die Stadt zu pflanzen, es ist gut, der Besitzer des »Charkiw« zu sein, jeden Morgen ein neues Zimmer zu beziehen, jede Mahlzeit in einem anderen Bistro einzunehmen, Bistros gibt es nämlich auf jeder Etage, einen tragbaren Fernseher mitzuschleppen und sich abends auf einem russischen Sender eine Talk-Show reinzuziehen, sich kostenlos Nutten kommen zu lassen, sich mit ihnen anzufreunden und in den Kajüten und Laderäumen dieses gigantischen Klotzes zu

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