Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
wieder abfuhren. Seltsam war allerdings, daß diese Herren, nach allem, was man wußte, zwar gleichzeitig, jedoch nie gemeinsam anreisten. Sie kamen aus verschiedenen Städten und kannten einander in der Regel nicht. Der Typ, der sie in der Sauna bediente, hatte kein einziges Mal mitbekommen, daß sie sich mit Vornamen oder mit du anredeten. Was Denissows Enkelin Vera anging, so war sie schlicht und einfach verliebt. Sie hatte eine leidenschaftliche Romanze mit einem Studenten der Pädagogischen Hochschule, der im Rahmen eines Praktikums an der Schule Chemie und Biologie unterrichtete. Die Informanten versicherten, daß der Student sich anständig verhalte.
Aber Denissow war noch nicht beruhigt. Er traf sich mit einem Psychologen und bat ihn um Rat.
»Kann es sein, daß ein vierzehnjähriges Mädchen heutzutage noch Liebe für eine Sünde hält, für die sie büßen muß?« fragte Eduard Petrowitsch ganz direkt. Er mochte keine Umschweife.
»Natürlich kann das sein, wenn die Erziehung nicht gestimmt hat.«
»Was heißt das, ›nicht gestimmt‹?«
Der Psychologe erläuterte Denissow ausführlich, was er damit meinte. Es stellte sich heraus, daß Eduard Petrowitschs Sohn und dessen Frau vollkommen normale Menschen waren, die Erziehung der Tochter hatte gestimmt, und Schwierigkeiten in der Familie, die zu solch einem psychischen Komplex führen können, hatte es nicht gegeben.
»Ich hätte eine Erklärung, wenn Sie mir versprechen, nicht gleich ›Das kann nicht sein, wie können Sie es wagen!‹ zu schreien.«
»Versprochen.«
»Meine Erklärung wäre – ungewöhnlicher Sex, sexuelle Perversionen.«
»Was sagen Sie da?!« Eduard Petrowitsch war aufgebracht. »Sie müßten sie mal sehen . . . Zart und zerbrechlich, flachsblondes Haar, ein Kindergesichtchen. Sie sieht mit ihren vierzehn Jahren noch aus wie kaum zwölf. Vera ist ein absolut unschuldiges Wesen, sie ist noch ein Kind. Hätten Sie auf Drogen getippt, wäre ich noch einverstanden gewesen. Schließlich hätte man ihr beim ersten Mal das Giftzeug heimlich unterjubeln können oder auch mit Gewalt, und dann wäre eine willenlose Sklavin aus ihr geworden. Das wäre schrecklich, aber immerhin erklärbar. Doch das, wovon Sie sprechen, macht man bewußt und aus freien Stücken. Nein, vollkommen ausgeschlossen, das kann einfach nicht sein!«
»Sie hatten es versprochen«, erinnerte ihn der Psychologe vorwurfsvoll.
»Entschuldigen Sie . . . Vielen Dank für die Sprechstunde. Hier Ihr Honorar.« Eduard Petrowitsch legte ein Kuvert auf den Tisch und ging.
Denissow war äußerst unzufrieden mit diesem Gespräch. Auf dem Nachhauseweg überlegte er, daß beim nächsten Ratstreffen unbedingt die Einrichtung eines Zusatzstipendiums für Studenten der Psychologie an der Universität der STADT auf die Tagesordnung gesetzt werden müsse. Vielleicht studierten sie dann wenigstens besser. Das jetzige Niveau bei der Ausbildung solcher Spezialisten hielt Eduard Petrowitsch für völlig unzulänglich.
Bald darauf kam es zum ersten alarmierenden Zwischenfall. Ins städtische Krankenhaus wurde mit einem Schädelbasisbruch Wasilij Gruschin eingeliefert, der im Auftrag von Aufklärungschef Starkow Einzelheiten über die fröhlichen Feiern in den Nebengebäuden des Sanatoriums ausgekundschaftet hatte. Gruschins Zustand war kritisch, er war nach der Operation noch nicht wieder aufgewacht. Als er für einige Minuten zu sich kam, war nur eine Krankenschwester im Zimmer.
»Schreiben Sie auf. . . Telefonnummer . . .«, brachte Gruschin kaum hörbar über die Lippen. »Sagen Sie . . . der Name sei Makarow . . . Rufen . . . Sie an . . .«
»Bleiben Sie ruhig, ich werde anrufen«, versprach die Krankenschwester fürsorglich und holte den Arzt. Zehn Minuten später war Gruschin tot.
»Was meinen Sie, soll ich da anrufen?« fragte die Krankenschwester und drehte den Zettel mit der Telefonnummer in den Händen.
»Wie Sie möchten«, Doktor Wdowenko zuckte die Achseln. »Auf jeden Fall würde ich die Polizei anrufen. Brutale Körperverletzung, Sie wissen ja selbst. Oder sagen Sie es dem Kripobeamten, der hier gestern den ganzen Tag saß und darauf wartete, daß Gruschin zu sich kommt. Der taucht heute bestimmt wieder auf.«
»Ist gut.« Das Mädchen seufzte und griff zum Telefon.
* * *
»Was geht hier vor in der Stadt?« fragte Denissow böse sein Gegenüber. »Ich frage Sie, was ist das für eine Organisation, die es wagt, meine Leute umzubringen? Daß sie soweit gegangen
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