Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
sie getrennt, und sie fand es o. k. Warum? Das war doch nicht normal.
Und schließlich Frage Nummer drei: Gestern hatte sie jemanden bestochen. Ja doch, nennen wir die Dinge beim Namen, sie hatte eine Straftat begangen. Und? War es ihr peinlich? Kein bißchen. Es widerte sie nur an. Sie, Anastasija Kamenskaja, Volljuristin, leitende Beamtin bei der Kriminalpolizei, im Rang eines Majors der Miliz, sie schämte sich nicht. Was war mit ihr los?
Ich bin ein moralisches Monstrum, sinnierte Nastja schwermütig, während sie ihre Runden auf dem Kurpfad drehte, ich bin ein Ungeheuer, normale menschliche Gefühle sind mir fremd.
* * *
In der STADT, in der sich das Sanatorium ›Doline‹ befand, herrschte Frieden, Ruhe und Ordnung. Die Wirtschaft florierte, die Preise in den Geschäften hielten sich in Grenzen, die Verbrechensrate war im Vergleich zu den gesamtrussischen Zahlen lächerlich niedrig. Auf die öffentlichen Verkehrsmittel war Verlaß, die Straßen wurden instand gehalten, der Bürgermeister machte der Bevölkerung Versprechen und hielt sie auch. Gesichert wurde dieser ganze Wohlstand von einem überaus mächtigen Mann – Eduard Petrowitsch Denissow.
Eduard Petrowitsch hatte frühzeitig begriffen, daß man Stabilität brauchte – wenn schon nicht in der Wirtschaft, so doch wenigstens bei den Machtorganen. Und so hatte er seine gesamten Anstrengungen darauf konzentriert, erstens die städtische Verwaltung zuverlässig und unersetzbar und zweitens die kriminellen Strukturen einheitlich und vollkommen kontrollierbar zu machen.
Denissow konnte warten. Er lachte über jene, die einen Rubel investierten, um am nächsten Tag tausend Prozent Gewinn einzustreichen, denn er wußte, zwei Tage später war die Situation eine andere, die Gewinne würden aufgefressen und neue nicht gemacht. Er war bereit, für die Sicherung der Stabilität Geld auszugeben, auch ohne zunächst etwas dafür zu bekommen, denn er war überzeugt, daß irgendwann einmal regelmäßig Dividenden fließen würden.
Zur gleichen Zeit, da er den Stadtoberhäuptern geholfen hatte, sich Reputation bei den Bürgern zu verschaffen, hatte er einen harten Kampf gegen die kriminellen Banden geführt, die die STADT in Einflußsphären aufzuteilen versuchten. Bei den einen hatte er sich freigekauft, mit den anderen hatte er Absprachen getroffen, die dritten bei der Polizei verpfiffen und einige gnadenlos vernichtet. Bis er schließlich allein übriggeblieben war, als unumschränkter Herrscher der STADT. Dann hatte er einige der vernünftigsten und tüchtigsten Geschäftsleute, die über solides kriminelles Kapital verfügten, zu sich eingeladen.
»Meine lieben Freunde«, sagte Denissow mit gedämpfter Stimme, ein Glas Kognak in seinen Händen wärmend, »falls Sie nicht gerade etwas Besseres im Auge haben, schlage ich Ihnen vor, in unsere STADT zu kommen, die sich im Moment sehr dazu anbietet, Geschäfte zu machen. Die Stadtverwaltung sitzt fest im Sattel und wird uns in jeglicher Hinsicht unterstützen. Die Bevölkerung liebt ihre Repräsentanten, und zu welchen Veränderungen es auch kommen mag, die zur Wahl stehenden Ämter werden von denselben Leuten bekleidet werden wie jetzt auch, oder von ihren Doppelgängern. Dementsprechend werden diese auch für passende Kandidaturen bei den übrigen Posten sorgen. Ich muß Sie jedoch vorwarnen: Sie sollen hier ausschließlich saubere wirtschaftliche Transaktionen durchführen. Kein Schmutz, keine Kriminalität, kein Schmuggel, weder von Drogen noch von Antiquitäten. Die Gesetzeshüter sind heute – welche von uns. Falls jedoch, Gott bewahre, irgend etwas passiert, stehen morgen die Leute vom russischen Innenministerium vor der Tür. Wer weiß, wo die hier dann überall herumschnüffeln. Und ich bin mir durchaus nicht sicher, ob ich auf die Ernennung der neuen Chefs von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht Einfluß haben werde, falls die jetzigen entlassen werden. Ich habe viel Energie darauf verwendet, stabile Machtverhältnisse in der Stadt zu schaffen, und ich werde nicht zulassen, daß irgend jemand sie gefährdet. In allem übrigen – volle Handlungsfreiheit, aber ohne sich Konkurrenz zu machen. Konkurrenz heißt Kampf, und Kampf heißt Gewalt, unter anderem auch kriminelle, was nicht in Frage kommt, wie ich bereits sagte. Das kann nur ich allein mir erlauben, und auch nur sehr begrenzt und zu Ihrem Wohle. Diejenigen, die bereit sind, auf meine Einladung einzugehen, müssen sich zuerst hier an diesem
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