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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Ruhe zu warten, bis der Auftragskiller kam. Doch Gordejew blieb dabei, dass die Lebedewa unsichtbar oder vielmehr ungreifbar sein sollte, eine Frau ohne Namen und Adresse. Wenn ihr Plan aufging, bedeutete das für Pawlow und den gedungenen Mörder zusätzlichen Aufwand, um die Erpresserin zu identifizieren oder wenigstens ihren Wohnort herauszufinden. Das wiederum hieß, dass jeden Augenblick jemand klingeln konnte – ein »Klempner«, ein »Tischler« oder ein »Junge, der Katja sucht.« »Die wohnt nicht hier? Entschuldigung.« Das musste nicht unbedingt der Mörder sein, das konnte irgendjemand sein, der bezahlt wurde, um herauszufinden, in welcher Wohnung die langbeinige Schöne mit dem kastanienfarbenen Haar und den braunen Augen wohnte. Das war für Nastja natürlich äußerst unbequem und zwang sie, vierundzwanzig Stunden am Tag die Lebedewa zu sein, aber nachdem sie einen halben Tag lang auf Gordejew sauer gewesen war, billigte sie seine Idee, vielmehr, die zweite Aufgabe, die er auf diese Weise zu lösen hoffte.
    Nachdem ihr Chef ihr die sechs Namen durchgesagt hatte, schlenderte sie einige Minuten ziellos durch die Wohnung, dann richtete sie sich einen Arbeitsplatz ein. Der saubere leere Küchentisch, ein starker Kaffee, Zigaretten, sechs Blatt Papier, auf jedem eine Überschrift, die einem Uneingeweihten nichts sagte. Nastja trank einen Schluck Kaffee und schloss die Augen. Chirurg. Cardin. Weil er sich gern modisch kleidete? Oder war er selbst Modeschöpfer? Burjate. Ein Hinweis auf seinen Geburtsort? Auf sein Aussehen? Black. Dazu fiel ihr gar nichts ein. Italiener. Sah vielleicht einem bekannten Filmschauspieler ähnlich? Oder hatte Italienisch gelernt? Ein temperamentvoller Brünetter, aber kein Kaukasier?
    Nastja wiederholte im Stillen die unverständlichen Namen, trug Schicht um Schicht mögliche Erklärungen und Assoziationen ab, angefangen von den oberflächlichsten bis hin zu völlig absurden, die keinerlei Sinn ergaben. In einem bestimmten Augenblick verspürte sie die vertraute Kälte im Bauch, aber zu kurz, um festzustellen, bei welchem Gedanken sie sich gemeldet hatte. Nach einigen Minuten wiederholte sich das, und wieder konnte Nastja den Gedanken oder besser die flüchtige Bewegung in ihrem Unterbewusstsein nicht fixieren. Sie wurde ärgerlich. Die fremde Wohnung, dieser notgedrungene Umzug, zerstörte alle ihre Pläne. Der Rücken tat ihr weh, und ihr fehlte der vertraute Ljoscha, der wusste, wie man ihr helfen konnte. Sie war unausgeschlafen, nervös, fühlte sich schlecht – und das war das Resultat. Sie war außer Stande, eine analytische Aufgabe zu lösen. Das Ärgerliche war natürlich nicht, dass sie sie nicht lösen konnte – es gab auf der Welt viele Aufgaben, die Nastja Kamenskaja nicht lösen konnte, das Ärgerliche war, dass es eine Lösung gab, das spürte sie an dem vertrauten Kribbeln im Bauch, aber zum ersten Mal im Leben vermochte sie die Lösung nicht auf die Ebene des Bewussteins zu heben und zu formulieren. Offenbar taugte sie wirklich nicht für die operative Arbeit, wenn bei körperlichem Unbehagen ihr Gehirn buchstäblich versagte. Kein Wunder, dass die Kollegen hinter ihrem Rücken spotteten und sauer waren. Im stillen Kämmerlein könnte wahrscheinlich jeder so arbeiten wie die Kamenskaja. Aber nun, da sie zum ersten Mal unter denselben Bedingungen arbeiten musste wie alle anderen, stellte sich heraus, dass sie nichts konnte. Alles war sinnlos. Alles umsonst. Sie würde die Operation versauen. Der ganze Aufwand, die ganzen Mühen vergebens.
    Nastja zog die Knie an, verbarg ihr Gesicht darin und weinte. Majorin Kamenskaja saß in einem äußerst frivolen Negligé, das unverhofften »Besuchern« ihre langen Beine demonstrieren sollte, in einer fremden Küche, beweinte ihren Dienst bei der Kriminalpolizei und rüstete sich, um am nächsten Tag ihr berufliches Versagen zuzugeben. Plötzlich versiegten die Tränen abrupt. Nastja verschmierte die zerlaufene Wimperntusche im Gesicht, ging rasch ins Zimmer und starrte schweigend die an der Wand hängenden Regale an. Aufmerksam und der Reihe nach betrachtete sie alles, was dort stand: Bücher, Nippes, Fotos – der übliche Kram. Dann runzelte sie die Stirn, atmete mehrmals tief ein und scharf wieder aus, um das Händezittern und das Herzklopfen einzudämmen. Sie ging zum Telefon.
    »Viktor Alexejewitsch, haben Sie meine Schlüssel? Bitten Sie jemanden, an meinen Safe zu gehen, im untersten Fach liegen die Fotos aus der

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