Anastasija 06 - Widrige Umstände
gewusst. Erst als der General mich zu sich bestellt und mich angebrüllt hat, dass Nastja meine Geliebte sei, da wusste ich, dass es demjenigen, der ihn gegen mich aufgehetzt hat, in erster Linie um die Kamenskaja ging. Also muss irgendjemand ihm gesagt haben, dass sie die einzige reale Gefahr ist. Im ersten Augenblick war ich natürlich gekränkt. Wir anderen zählten also alle nicht? Ich bin seit dreißig Jahren Ermittler, und vor mir hat der Verbrecher keine Angst, sie dagegen ist erst seit ein paar Jahren dabei und hat schon so einen Ruf. Da habe ich begriffen, Pascha, dass das andere Verbrecher sind. Darum haben sie keine Angst vor denen, die aus der alten Schule kommen, sie wissen, dass die eine andere Logik haben, eine andere Denkweise. Wenn du so willst, andere Gewohnheiten. Anastasija dagegen, die ist etwas Besonderes. Sie denkt um die Ecke. Und das bedeutet, dass ich Recht habe.«
»Na schön, sagen wir, du hast Recht«, lenkte Sherechow ein. »Und du bist so kühn, dass du vor nichts Angst hast. Aber erklär mir doch mal in Gottes Namen, gibt es denn keinen anderen Weg zu überprüfen, ob der, den wir überwachen, der Mörder der Filatowa ist? Müssen wir unbedingt warten, bis er hingeht, um Nastja umzubringen? Verdammt«, setzte er ärgerlich hinzu, »man mag es gar nicht aussprechen.«
Gordejew seufzte, setzte sich an den Tisch und rieb sich Stirn und Glatze.
»Ich weiß es nicht, Pascha. Mir fällt nichts anderes ein. Das heißt, Wege gibt es viele, aber ich habe Angst, ihn aufzustören. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass er keine Waffe bei sich hat und dass seine Papiere vollkommen in Ordnung sind. Eine fingierte Razzia brächte also nichts. Ihn gesetzwidrig festnehmen will ich nicht. Du kennst meine Prinzipien, und die werfe ich auch wegen eines Auftragskillers nicht über Bord. Und wenn er gar nicht der Mörder ist, sondern nur jemand, der in seinem Auftrag die Hilfsarbeiten erledigt, dann scheitert unser ganzer Plan. Wir haben Indizien, mit denen wir überprüfen können, ob er der Mann ist, der in der Wohnung der Filatowa war. Na und? Wann war er denn dort? Wie wollen wir beweisen, dass er zum Zeitpunkt des Mordes dort war und nicht eine Stunde oder einen Tag davor? Wir haben einen Anhaltspunkt für ein Gespräch mit ihm, Pascha, mehr nicht. Gründe für eine Festnahme oder gar eine Verhaftung dagegen – null.«
»Und was willst du erreichen? Willst du abwarten, bis er sich anschickt, Nastja zu töten, und ihn dann auf frischer Tat stellen? Bist du noch bei Trost?«
»Pascha, ich warte darauf, dass er mir die Beweise liefert. Eigenhändig.«
»Und wenn er das nicht tut?«
»Dann gebe ich zu, dass du Recht hattest. Dann überlasse ich dir die Abteilung und gehe in Schimpf und Schande.«
Am selben Tag erhielt Larzew früh morgens einen Anruf.
»Er will, dass ich ihn begleite.«
»Wann?«
»Wir treffen uns in einer Stunde.«
»Hat er erklärt, warum? Sie haben ihm doch die Adresse gegeben.«
»Er will, dass ich ihn selbst vorstelle. Sozusagen: Der gehört zu uns, kommt nicht von der Straße.«
»Gut, fahren Sie hin. Aber halten Sie sich zurück. Und behindern Sie ihn nicht, lassen Sie ihn alles tun, was er für nötig hält. Sie können ihm sogar helfen.«
Als die Observierenden ihr Objekt verloren hatten, verhörte Larzew im Auftrag des Untersuchungsführers vier Verhaftete in der U-Haft. Den Fall bearbeitete Konstantin Olschanski, der Larzew gründlich instruiert hatte. Sie arbeiteten gern zusammen; Larzew war wohl der einzige von Gordejews Mitarbeitern, dem Olschanski nicht nur Sympathie entgegenbrachte, sondern auch großes professionelles Vertrauen. Der hartnäckige, pedantische und strenge Olschanski hatte den Ruf eines Mannes, der seine Fälle bis ins Detail kennt, doch die meisten Kriminalisten und vor allem die Sachverständigen hatten ungern mit ihm zu tun. Er argwöhnte ständig, sie würden etwas übersehen, bei der Untersuchung des Tatorts etwas vergessen; er war absolut unerträglich, scheuchte und kommandierte alle herum wie ein Gutsherr sein Gesinde. Und obwohl alle wussten, dass er Recht hatte, verübelten ihm viele seine schroffe Direktheit, die mitunter an Unverschämtheit grenzte. Nur mit Larzew sprach er nicht nur höflich, sondern regelrecht sanft, weil er im Stillen anerkannte, das dieser Vernehmungen viel besser und effektiver führte als er selbst.
Larzew, der ebenso wie Gordejew die Nacht in der Petrowka verbracht hatte und um acht Uhr morgens sein
Weitere Kostenlose Bücher