Anastasija 06 - Widrige Umstände
den Fingerspitzen verspürte sie ein Stechen – ein sicheres Anzeichen für einen Schwächeanfall. Na schön, das war der Tod, aber was bedeutete der Rest? Hatte sie wirklich kein Vertrauen in ihre Kameraden? War sie sich ihrer wirklich so wenig sicher? Und traute sie tief im Innern Knüppelchen wirklich zu, dass er sie in einem schwierigen Augenblick im Stich ließ?
Das liegt wahrscheinlich daran, dass es das erste Mal ist, beruhigte sich Nastja. Ich habe einfach noch nie am eigenen Leib erfahren, wie gründlich und zuverlässig solche Operationen vorbereitet werden. Doch hartnäckig schlich sich eine ganz andere Erklärung in ihr Bewusstsein. Sie hatte in den letzten Jahren viele verschiedene Operationen analysiert, erfolgreiche und gescheiterte, hatte so oft die Fehler und Schwachstellen finden müssen, dass sie nur zu gut wusste, wie häufig es Pannen gab, Schlampereien, Nachlässigkeiten, wie oft jemand irgendetwas vergaß und andere gefährdete. Wahrlich: Viel Wissen macht Kopfweh, dachte sie.
Wolodja Larzew dachte zufrieden, dass der Gallier – oder wer immer er war, ihr »Objekt« – ihnen faktisch die Schmutzarbeit abgenommen hatte.
»Ich will Sie zu nichts zwingen«, sagte er ruhig. »Sie haben die Wahl. Wenn Sie nicht auf unserer Seite sind, hat das für Sie keine negativen Konsequenzen. Überlegen Sie es sich.«
Sein Gesprächspartner trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf seinem Knie.
»Ich glaube, Sie machen mir etwas vor. Kann ich denn nicht wegen Beihilfe belangt werden?«
»Doch, das werden Sie natürlich. Wenn ich sage, es hat für Sie keine negativen Konsequenzen, dann meine ich, eine Verweigerung der Zusammenarbeit wirkt sich nicht auf Ihr Strafmaß aus.«
»Und eine Einwilligung?«
»Die schon.«
»Was soll ich tun?«
»Nichts. Tun Sie nichts, das genügt schon.«
»Sie meinen, ich soll schweigen über das, was heute geschehen ist?«
»Sie haben mich richtig verstanden. Tun Sie, als wäre nichts passiert. Verstehen Sie, Sie sitzen nicht nur zwischen zwei Stühlen, sondern sogar zwischen dreien. Einerseits die Organisation, andererseits Ihr Freund und drittens wir. Die einzige Chance, sich nicht wehzutun, besteht darin, sich nicht zu rühren.«
»Sie haben Recht. Und wenn man mich um irgendetwas bittet?«
»Sagen Sie es zu. Aber tun Sie nichts, ohne mich vorher anzurufen. Einverstanden? Das Ganze wird nicht lange dauern, maximal drei Tage. Halten Sie drei Tage durch?«
»Ich werd’s versuchen.« Der Gesprächspartner seufzte. »Nicht gerade lustig: dasitzen und warten, bis sie dich vor Gericht stellen, noch dazu mit so einem Paragraphen.«
»Sie müssen zugeben, das ist immer noch besser, als darauf zu warten, umgebracht zu werden«, entgegnete Larzew nüchtern.
Elftes Kapitel
Am Morgen geriet das Uhrwerk wieder ins Stocken. Das dachten zumindest Korotkow und Selujanow, als sie erfuhren, welche Routen das Objekt nahm. Gordejew hörte sie an und sagte kurz:
»Ich muss darüber nachdenken. Bleibt in Reichweite.«
Gegen ein Uhr mittags meldeten die Männer, die das Objekt observierten, sie hätten ihn verloren. Die Gruppe, die die Wohnung auf dem Mir-Prospekt sicherte, wurde sofort in Alarmbereitschaft versetzt. Die Spannung wuchs. Das Objekt tauchte nicht in der Nähe des Hauses auf.
Gordejew saß wütend und mit hochrotem Kopf in seinem Büro. Er sah die Situation außer Kontrolle geraten.
»Ich verstehe trotzdem nicht, warum wir die Telefonate aus der Wohnung von Murtasow nicht abhören können«, sagte Gordejews Stellvertreter Oberstleutnant Sherechow unwillig. »Ich bin mir sicher, der Staatsanwalt würde das genehmigen.«
»Zu spät, Pascha. Und zu gefährlich. Hat das Leben dich denn nichts gelehrt? Je höher angebunden die kriminelle Organisation, desto mehr Informationen sickern durch. Das Risiko ist zu groß.«
»Aber so werden wir nichts erreichen. Das dürfen wir nicht, das ist zu gefährlich – ist dir wenigstens klar, wohin das führt? Du köderst den Mörder mit einem unerfahrenen Mädchen und willst ihn mit bloßen Händen fangen. Was ist los mit dir, Viktor? Was denkst du dir? Mit Pawlow müsste sich das Ministerium für Staatssicherheit befassen, nicht wir beide.«
»Ich scheiße auf Pawlow!«, explodierte Gordejew. »Ich suche einen Mörder. Pawlow interessiert mich nicht. Knöpfchen drücken kann jeder Idiot.«
»Was für Knöpfchen?«, fragte Sherechow verständnislos.
Gordejew sprang auf und tigerte durchs Büro, wobei er gereizt im Wege
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