Anastasija 06 - Widrige Umstände
sie in dreißig Sekunden nichts sagt, fangen wir an.«
Der Kommandeur der Einsatzgruppe blickte auf den Sekundenzeiger.
Nastja hatte das Gefühl, als arbeite die Analysemaschine in ihrem Kopf ohrenbetäubend laut. Sie musste unverzüglich etwas sagen, egal was, irgendeinen Blödsinn, nur, um Laut zu geben. Sonst würden sie die Wohnung stürmen und alles verderben. Sie durften den Gallier auf keinen Fall schon jetzt festnehmen, bevor sie wusste, was er vorhatte. Irgendein raffiniertes Spiel mit Pawlow. Was hatte er gefragt? Ob in der Nachbarwohnung jemand auf der Lauer lag?
»Na klar. In zwei Wohnungen je zehn Leute und nochmal an die hundert im Treppenhaus. Und hier drin in jedem Schrank. Na los, such doch.«
»Spaßvogel«, zischte der Gallier und drehte die Wasserhähne zu. »Komm raus hier, sonst krepierst du mir noch. Ich brauche dich lebendig.«
Der Kommandeur der Einsatzgruppe sah auf die Uhr. Fünfundzwanzig Sekunden waren vergangen. Er gab ein Handzeichen, und augenblicklich standen drei Männer vor der Wohnung achtundvierzig. Einer von ihnen hatte einen Schlüssel in der Hand.
Im Auto, in dem Gordejew, Korotkow und Dozenko saßen, ertönte Schestaks Stimme:
»Die Frau hat etwas gesagt. Das Wasser wurde abgedreht.«
Gordejew warf einen Blick auf den Sekundenzeiger. Neunundzwanzig Sekunden.
»Abbrechen!«, brüllte er.
Der Gallier, der noch immer Nastjas Hand festhielt, führte sie in die Küche und wies mit einem Kopfnicken auf das kleine Sofa in der Ecke.
»Setz dich da hin. Werd ich dich eben ein bisschen bedienen. Hast du schon gegessen?«
»Noch nicht. Ich wollte gerade, aber du hast mich unterbrochen.«
»Dann lass uns was essen.«
Mit Hausherrengeste öffnete er den Kühlschrank und hockte sich davor. Er holte Eier, Milch und zwei Konservendosen ohne Etikett heraus.
»Was ist das?«, fragte er und drehte die Dosen hin und her.
»Fisch, ich glaube, Sprotten in Tomatensoße. Du findest dich ja schnell zurecht«, sagte Nastja böse.
»Hör zu«, der Gallier drehte sich zu ihr um, »wir beide haben noch die ganze Nacht vor uns. Also lass uns lieber Freunde sein. Isst du auch ein Omelett? Bleib sitzen, das mache ich selbst.«
»Hör schon auf, hab dich nicht so.«
Nastja wollte aufstehen. Sie weigerte sich entschieden, den Gedanken an ihren bevorstehenden Tod ernsthaft an sich heranzulassen.
»Ich hab gesagt, du sollst sitzen bleiben«, sagte der Gallier, und seine Stimme klang stahlhart. »Und leg die Hände so hin, dass ich sie sehen kann. Nochmal sage ich das nicht.«
»Ach, was soll’s«, seufzte Nastja und rollte sich auf dem Sofa zusammen. »Lass ich mich eben einmal im Leben von einem Mann bekochen – auch ganz nett. An die Arbeit, Chefkoch!«
Der Wagen fuhr in den Nachbarhof. Drei Männer sprangen heraus und rannten zu dem neben dem Torbogen parkenden Kleinbus.
»Was tut sich?«, fragte Gordejew keuchend.
»Sie wollen essen. Er verdächtigt sie. Sie muss auf dem Sofa in der Ecke sitzen und darf nicht aufstehen. Er will bis morgen früh dableiben.«
»Weiß der Teufel, was das soll«, sagte Gordejew nachdenklich. »Was mag er Vorhaben? Übrigens«, er wandte sich an Korotkow, »wo ist Larzew?«
»Heute früh war er im Untersuchungsgefängnis«, sagte Jura achselzuckend. »Danach ist er nicht wieder aufgetaucht.«
»Such ihn. Vielleicht kann er uns was erklären.«
Korotkow setzte sich ans Funktelefon.
Wolodja Larzew saß reglos im langen Krankenhausflur und wagte nicht, sich zu rühren, um die auf seinen Knien eingeschlafene Tochter nicht zu wecken. Ihm war elend zumute. Natascha lag auf der Intensivstation, und nach den Gesichtern der Ärzte zu urteilen, die von dort kamen, stand es schlimm.
Nastja aß mit Appetit das Omelett, obwohl sie nicht hungrig war. Ihre Lust am Experiment war erwacht. Wann wurde man schon mal von einem Mörder bekocht?
»Schmeckt gut!«, lobte sie ganz aufrichtig. »Du bist bestimmt Junggeselle, oder?«
»Und du bist bestimmt sehr neugierig«, antwortete der Gallier im gleichen Tonfall.
»Natürlich.« Sie lachte. »Wenn ich nicht neugierig wäre, hätte ich kein Geld.«
»Na, allzu viel Geld scheinst du nicht zu haben, sonst hättest du dir längst ein neues Auto gekauft. Oder?«, stichelte der Gallier.
Volltreffer, dachte Nastja. Sie legte langsam die Gabel beiseite und kniff die Augen zusammen.
»Du bist also doch ein Bulle. Jetzt hab ich dich erwischt.«
»Wieso?«, fragte der Gallier aufrichtig erstaunt.
»Pawlow kann von meiner
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