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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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stehende Stühle beiseite stieß.
    »Versteh doch, Pascha, wir haben es mit einem komplizierten, straff organisierten System zu tun, über das wir nichts wissen. Stell dir einen Computer vor mit einem ganzen Netz von Nutzern. Pawlow, Rudnik, Iwanow-Petrow-Sidorow – jeder von ihnen kann, wenn er dazu gehört, einen Knopf drücken. Die Maschine summt und rattert, auf dem Monitor erscheint ein Wort. Diese Nutzer interessieren mich nicht, über die weiß ich Bescheid. Mich interessiert, was im Innern der Maschine vor sich geht, wenn sie summt und rattert. Du hast Recht, das Mädchen ist unerfahren, aber sie hat Köpfchen, und sie kann Dinge, die wir beide nicht können. Sie wird diese Maschine in ihre Einzelteile zerlegen.«
    »Wenn sie am Leben bleibt«, sagte Sherechow leise, ohne den Oberst anzusehen.
    »Hör auf!« Gordejews Stimme kippte zu einem Kreischen. »Ich habe nicht weniger Angst um sie als du. Schlimmstenfalls lassen wir den Mörder entkommen. Zum Teufel mit ihm, wir haben sowieso zu wenig Beweise.«
    Sherechow arbeitete schon seit Jahren mit Gordejew zusammen, sie bildeten eine Art ausgeglichenes System von Gegengewichten. Der schroffe, draufgängerische Gordejew, der vor nichts Angst hatte, stürmte Hals über Kopf in nur für ihn erkennbare Fernen. Der pedantische, konservative Pascha Sherechow spielte, obgleich jünger als Gordejew, die Rolle des weisen Großvaters, der ein wachsames Auge auf den wilden Enkel hat, damit der nicht in den Teich fällt, über Zäune klettert und oder mit Streichhölzern spielt. Im Wesentlichen waren sie Gleichgesinnte, aber in den Methoden differierten sie immer.
    »Wozu dann das alles?«, bohrte Sherechow weiter. »Pawlow interessiert dich nicht, den Mörder würdest du auch laufen lassen. Die ganze Anstrengung, die ganze Aufregung nur für eine Information, die du vielleicht bekommst, vielleicht aber auch nicht? Ich erkenne dich nicht wieder, Viktor.«
    »Und ich erkenne dich nicht wieder«, sagte Gordejew, bereits ruhiger. »Du siehst doch genauso gut wie ich, wohin wir alle gehen. Die Zeit der Kriminalität, an die wir gewöhnt waren und mit der wir umgehen konnten, ist vorbei. Sie hatte ihre Gesetze, ihre Spielregeln, aber das alles gibt es nicht mehr. Das Land verändert sich, Politik und Wirtschaft verändern sich, und damit verändert sich auch die Kriminalität. Es sind ganz andere Kriminelle, und wir sind außer Stande, sie aufzuspüren, sie zu überführen. Und hier haben wir mal eine Chance, wenigstens irgendetwas zu lernen. Denk endlich um, ring dich zu der Erkenntnis durch, dass es in unserer Arbeit Situationen geben kann, wo das gewonnene Wissen wichtiger ist als das Ergebnis. Vielleicht mitunter zum Nachteil für heute, dafür aber nützlich für morgen. Vielleicht bleibt heute ein Mord unaufgeklärt, Aber haben wir nicht viele solcher Fälle? Dafür sind wir für die Auftragsmorde von morgen gut gerüstet.«
    »Für solche Gedanken werden sie dir den Kopf abreißen, Viktor. Das ist doch unerhört – bewusst in Kauf zu nehmen, dass ein Verbrechen unaufgeklärt bleibt, noch dazu die Ermordung eines Offiziers der Miliz.«
    »Sollen sie mir ruhig den Kopf abreißen.« Gordejew winkte ab. »Ich habe zweiunddreißig Jahre gedient, dann gehe ich eben in Pension. Für mein jetziges Gehalt bekomme ich sowieso höchstens zwei Paar Schuhe für meine Frau. Ich werde mich nicht an meinen Sessel klammern. Ihr aber werdet mir noch viele Jahre dankbar sein, wenn mein Plan aufgeht.«
    »Der General weiß natürlich nichts von deinem napoleonischen Feldzug?«
    »Natürlich nicht. Pawlow hat irgendeinen Draht zu ihm.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Er hat über den General versucht herauszufinden, ob die Kamenskaja im Fall Filatowa irgendetwas ausgegraben hat.«
    »Aber warum? Wieso ausgerechnet die Kamenskaja?«
    Gordejew lächelte zufrieden. Siehst du, Pascha, dachte er, das ist der Beweis, dass es kein Fehler von mir war, das völlig unbekannte Mädchen aus dem Kreisdezernat zu holen. Und wie hast du dich damals dagegen gesträubt!
    »Darum«, sagte er gewichtig und gemessen, »du hast mir damals nicht geglaubt, als ich gesagt habe, aus ihr kann etwas werden. Und warst damit im Unrecht. Und ich hatte Recht. Ja, sie kann vieles nicht. Ja, sie hat in manchen Dingen keine Erfahrung. Aber ein Ruf ist auch eine Waffe, und keine unwichtige. Weißt du, Pascha«, setzte Gordejew hinzu und blieb hinter seinem Stellvertreter stehen, »ich habe das, ehrlich gesagt, selbst nicht

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