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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sich unsere Garderobe. Ihr Inhalt war zum großen Teil auf dem Fußboden verstreut. Fraa Jesry und Fraa Arsibalt standen, bereits in Scharlachrot gehüllt, daneben und sahen leicht verärgert aus. Fraa Lio wühlte sich auf der Suche nach seinem Lieblingsgewand durch die Seide. Ich kniete mich hin und fand unter denen, die er aussortiert hatte, eins in meiner Größe, das ich mir überwarf. Sorgsam darauf bedacht, es nicht zwischen die Füße zu bekommen, schnürte ich es fest und gesellte mich dann zu Jesry und Arsibalt. Einen Augenblick später stand auch Lio da, dicht hinter mir. Wir traten aus dem Schatten dieser Säule heraus und schlängelten uns durch die Menge auf den Schirm zu, immer hinter Jesry her, der sich nicht scheute, die Ellbogen zu benutzen. Aber so voll war es gar nicht. Nur etwa die Hälfte der Zehner waren heute aufgetaucht; der Rest war eifrig mit den Vorbereitungen für die Apert beschäftigt. Unsere Fraas und Suurs saßen in gestaffelten Reihen vor dem südwestlichen Schirm. Die ganz vorne hatten sich auf dem Boden niedergelassen. Die in der nächsten Reihe saßen auf ihren Sphärs in Kopfgröße. Die hinter ihnen hatten ihre Sphärs etwas weiter ausgedehnt. In der hintersten Reihe waren die Sphärs
größer als die Fraas und Suurs, die darauf saßen, aufgebläht wie riesige hauchdünne Ballons, und das einzige, was sie daran hinderte, umherzurollen und Leute auf den Steinfußboden zu werfen, war die Tatsache, dass sie wie Eier in einer Schachtel zwischen den Mauern eingeklemmt waren.
    Großfraa Mentaxenes zog die in unseren Schirm eingebaute Tür auf. Er war sehr alt, und wir waren ziemlich sicher, dass nur diese tägliche Verrichtung ihn noch am Leben erhielt. Jeder von uns trat in eine flache Wanne mit Kolophoniumpulver, damit unsere Füße auf dem Boden einen besseren Halt hatten.
    Dann gingen wir der Reihe nach hinaus und lösten uns in dem riesigen Raum auf wie Zuckerkörnchen in einer Tasse Tee. Etwas an der Art, wie der Chorraum gebaut war, ließ ihn wie eine Zisterne erscheinen, die alles Licht speicherte, das je auf den Konzent gefallen war.
    Wenn man von einem Standort genau im Schirm aus nach oben schaute, sah man die gewölbte Decke des Mynsters fast zweihundert Fuß über sich, durchflutet von Licht, das durch Buntglasfenster überall im Obergaden hereinfiel. So viel Licht, das auf die hellen Innenflächen der acht Schirme fiel, machte sie alle undurchsichtig und ließ den Eindruck entstehen, wir vier hätten das ganze Mynster für uns allein. Die Tausender, die ihre von Mauern umgebene und überdachte Treppe heruntergestiegen waren, um der Provene beizuwohnen, konnten uns jetzt durch ihren Schirm hindurch sehen; Handwerker Flec dagegen, der sich mit seinem kurzärmligen gelben Hemd und seinem Spulocorder im nördlichen Langhaus befand, sahen sie nicht. Ebenso wenig wie Flec sie sehen konnte. Beide würden jedoch den Aut der Provene verfolgen können, der von Anfang bis Ende im Chorraum stattfinden und sich nicht von dem Ritus unterscheiden würde, der vor ein-, zwei- oder dreitausend Jahren vollzogen worden war.
    Das Praesidium ruhte auf vier ausgekehlten Beinen aus Stein, die in der Mitte des Chors den Boden und, so stellte ich es mir vor, das darunter liegende Gewölbe durchstießen, wo die Ita sich um die Bewegungen ihrer Teile kümmerten. Beim Betreten des Chores gingen wir an einer dieser Säulen vorbei. Sie waren nicht rund im Querschnitt, sondern diagonal ausgestreckt, fast so als wären sie Seitenflossen an einem altmodischen Raketenschiff, wenn auch nicht annähernd so schlank, wie man nun annehmen könnte. So
kamen wir in den zentralen Schacht des Mynsters. Wenn wir von hier aus aufschauten, konnten wir zwei Mal so hoch hinaufsehen, bis ganz in die Spitze des Praesidiums, wo das Sternrund war. Wir nahmen unsere Positionen ein, die durch kolophoniumbefleckte Mulden gekennzeichnet waren.
    Im Schirm des Primas öffnete sich eine Tür, und heraus kam ein Mann in einem Gewand, das komplizierter war als unseres, und purpurrot, um seine Stellung als Hierarch zu zeigen. Anscheinend war der Primas heute beschäftigt – vermutlich auch mit Vorbereitungen auf die Apert – und hatte deshalb einen seiner Gehilfen als Vertretung geschickt. Hinter ihm kamen nacheinander andere Hierarchen heraus. Fraa Delrakhones, der Wehrwart, nahm auf seinem Stuhl links von dem des Primas Platz, und Suur Trestanas, die Regelwartin, rechts davon.
    Fünfzehn grün gewandete Fraas und Suurs –

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