Anatomie Einer Nacht
über diesen Gedanken derart laut lachen, dass die Kopenhagener etwas von ihr abrückten.
Im Sommer ist das Wasser des Fjordes so klar, dass sich die Berge darin spiegeln, dann wirkt er bräunlich grau, durchzogen mit Flecken von Blau. Die Sonne ist schnell, kaum geht sie auf, ist sie schon in voller Größe da, und mit ihrer Anwesenheit erhält der Fjord seine charakteristische Zeichnung.
Etwa um diese Zeit machen sich die ersten Kinder auf den Weg zur Schule, nicht alle kommen an, viele weichen aus, lassen sich vom Trampolin vor Karinas Haus zum Springen, Tanzen in der Luft und lautem Schreien, Singen verführen, Wettkämpfe werden auf ihm ausgetragen, und jedes Jahr, wann immer Karinas Vater gute Beute gemacht hat, verschwindet das alte Trampolin und wird durch ein neues, größeres, aber ebenso blitzblaues ersetzt, das einen noch höher in die Luft katapultiert, so dass sich das Fallen anfühlt wie kurzes Fliegen.
Magnus überlegt, ob er heute die Schule schwänzen soll, es ist Freitag, und er hat keine Lust auf den Unterricht, doch das mürrische Gesicht des Großvaters treibt ihn in die Schuhe und Jacke. Er bricht im Südosten der Stadt auf, Julie im Nordwesten. Sie haben noch nie ein Wort miteinander gewechselt, obwohl Magnus’ und Julies Klassenzimmer nebeneinander liegen. Anders wartet auf Idi, die sich noch die Zähne putzt, er wird mit ihr zur Schule gehen, während des Unterrichts auf dem Spielplatz turnen, später aus der Schulküche den Käsehobel, den Dosenöffner und den Schneebesen entführen; man wird sie an jener Stelle finden, an der Idis Klasse ein Blumenbeet anlegen wollte, ihre Griffe fein säuberlich in die Erde gegraben.
Inzwischen haben Inger und Mikkel zu Ende gefrühstückt. Während Mikkel den Tisch abräumt, versucht Inger, Sofie einzufangen. Das Kind muss zur Nachbarin gebracht werden, bevor Inger zur Arbeit geht. Mikileraq ist flinker, sie hat es schon geschafft, Maja anzuziehen. Auf dem Weg zum Kindergarten fällt ihr das Muttermal auf ihrem Handrücken auf, sie meint, es sei gewachsen, ihre Mutter und ihre Großmutter besaßen an der gleichen Stelle ein ähnliches Geburtsmal.
Ole hat fast nicht geschlafen, Mark und Gitte haben sich die ganze Nacht gestritten, Gitte warf mit dem wenigen Geschirr, das sie noch besitzen und mit dem man werfen kann, zwei Becher, zwei Tassen und ein Teller, Mark packte Gitte an den Armen, während er sie in den Unterbauch trat, Gitte heulte und schrie, und Ole hielt seinen Brüdern, die sich im Nebenzimmer duckten, die Ohren zu.
Lars bestreicht, wie jeden Morgen, ein Stück Weißbrot mit Orangenmarmelade, Sara duscht, und Sivke und Keyi schlafen noch, Sivke in ihrem Bett, das seit ihrer Kindheit nicht ausgetauscht wurde, daher am Kopfteil rosarot gestrichen ist, die Liegefläche zu schmal und kurz für eine Erwachsene, und Keyi auf dem Boden der Waschküche.
Um acht Uhr schließt Kristian den Supermarkt auf und räumt seinen Lieferwagen aus. Um diese Zeit fahren die Jäger mit ihrer Beute vor und beginnen, die Robben auf dem Platz vor der Bank und der Post zu zerlegen, die ersten Einkäufer öffnen die Plastikbeutel mit den Lachsen, Lodden und den grün-rot-gelb gestreiften Seesaiblingen, manchmal sind auch die kleinen Grönland-Dorsche dabei, die die Fischer nur ausnahmsweise an Land ziehen, meistens werden sie wieder in den Fjord geworfen. Wenn die Einkäufer den Fisch gefunden haben, den sie wollen, stecken sie die Ware in ihren Beutel und dem Jäger das Geld in die Hosentasche.
Vom Geruch des Blutes und Fleisches angelockt, tauchen die Hunde auf, die nicht ins Tal der Blumen verbannt wurden. Sie kläffen und jaulen, wagen es aber nicht, bis zum Platz zu laufen, sondern lungern so lange an den Straßenecken herum, bis jemand sie verscheucht.
Nun schließen Bendt und Rikke die Bank und die Post auf, legen ihre Jacken ab und machen es sich hinter den Schaltern bequem, die Kunden werden erst im Lauf des späten Vormittags eintrudeln, und auch dann werden nur ein paar wenige Briefe verschickt und Rechnungen bezahlt werden. Wirklich beliebt ist das öffentliche Telefon im Foyer, es wird von vielen Bewohnern Amarâqs genutzt, um Dringendes zu klären oder Alltägliches zu besprechen, innerhalb weniger Minuten formiert sich eine Schlange, die bis vor die Tür reicht. Die Schlange teilt sich, die untere Hälfte geht zum Supermarkt, hier hängt im Eingangsbereich das zweite Münztelefon, ein weiteres gibt es nicht.
Inzwischen sind die Jägersfrauen
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