ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
bis zum Ende des Waldes vorgedrungen seien und immerwährend den seltsamen Glockenklang gehört hätten, aber es wäre ihnen so vorgekommen, als ob er aus der Stadt herüberklänge. Der eine schrieb ein richtiges Gedicht darüber und sagte darin, daß die Glocke wie einer Mutter sanfte Stimme zu ihrem Kinde klänge; keine Melodie sei herrlicher als der Klang der Glocke.
Der Kaiser des Landes wurde auch darauf aufmerksam und versprach dem, der genau ausfindig machen konnte, woher der Schall stammte, den Titel eines "Weltglöckners", selbst wenn sich herausstellen sollte, daß es keine Glocke sei.
Nun gingen gar viele in den Wald, denen das fette Amt in die Augen stach, aber nur einer von ihnen kam mit einer Art Erklärung nachhause. Keiner sei tief genug vorgedrungen, er selbst ebenfalls nicht, aber er meine doch, daß der Glockenklang von einer außergewöhnlich großen Eule in einem hohlen Baume herstamme. Das sei eine jener Weisheitseulen, die ihren Kopf unaufhörlich gegen den Baumstamm schlügen; aber ob der Laut von ihrem Kopfe oder dem Stamme verursacht würde, könne er noch nicht mit Bestimmtheit sagen. So wurde er denn als "Weltglöckner" angestellt und schrieb jedes Jahr eine kleine Abhandlung um die Eule, aber viel klüger wurde man daraus auch nicht.
Nun war gerade ein Einsegnungstag. Der Pfarrer hatte so schön und innig gesprochen; die Konfirmanden waren sehr bewegt, denn es war für sie ein wichtiger Tag, an dem sie aus Kindern plötzlich zu erwachsenen Menschen werden sollten. Die Kinderseele sollte nun gleichsam in eine verständigere Person hinüberfliegen. Es war der herrlichste Sonnenschein. Die Konfirmanden gingen aus der Stadt hinaus, und vom Walde her klang wundersam stark die große unbekannte Glocke. Da überkam sie auf einmal eine solche Lust, dorthin zu gehen, daß sich alle aufmachten, bis auf drei von ihnen. Die eine mußte nachhause, um ihr Ballkleid anzuprobieren, denn es war gerade das Kleid und der Ball, die der Grund waren, weshalb sie schon dieses Mal mit eingesegnet worden war, denn sonst hätte sie noch warten müssen. Der andere war ein armer Junge, der seinen Konfirmationsrock und die Stiefel bei dem Sohn seines Wirtes geliehen hatte und sie auf den Glockenschlag zurückliefern mußte; der dritte sagte, daß er niemals an einen fremden Ort ohne seine Eltern ginge. und daß er immer ein artiges Kind gewesen wäre und das auch bleiben wolle, selbst als Konfirmand, und darüber brauche man sich gar nicht lustig machen. - Aber das taten die anderen trotzdem.
Drei von, ihnen gingen also nicht mit; die anderen trabten davon. Die Sonne schien, und die Vögel sangen, und die Konfirmanden sangen mit und hielten sich bei den Händen; denn noch hatten sie ja keine schweren Pflichten und waren gerade heute so recht Gottes Kinder.
Aber bald wurden zwei von den kleinsten müde und kehrten nach der Stadt um. Zwei kleine Mädchen setzten sich nieder und banden Kränze; sie kamen auch nicht mit, und als die anderen die Weidenbäume erreichten, wo der Konditor wohnte, sagten sie: "Seht, nun sind wir hier draußen; die Glocke ist ja eigentlich nichts wirklich Bestehendes, sondern mehr etwas in der Phantasie Lebendes."
Da erklang auf einmal tief im Walde die Glocke so süß und feierlich, daß vier, fünf sich doch entschlossen, etwas tiefer in den Wald hineinzugehen. Der war so dicht belaubt, daß es ordentlich beschwerlich war, darin vorwärts zu kommen. Waldmeister und Anemonen wuchsen fast allzu üppig, blühende Winden und Brombeerranken hingen in langen Girlanden von Baum zu Baum, in denen Nachtigallen sangen und die Sonnenstrahlen spielten. O, es war so herrlich, aber es war kein Weg für Mädchen, denn sie wären mit zerrissenen Kleidern zurückgekommen. Da lagen Felsblöcke mit Moos von allen Farben bewachsen, das frische Quellwasser sickerte hervor, und leise und seltsam ertönte sein "kluck, kluck."
"Sollte das etwa die Glocke sein?" sagte einer der Konfirmanden und legte sich nieder, um zu lauschen. "Das muß man gründlich untersuchen!" Und so blieb er liegen und ließ die anderen weitergehen.
Sie kamen zu einem Haus aus Borke und Zweigen. Ein großer, wilder Apfelbaum lehnte sich darüber, als wolle er seinen ganzen Segen über das Dach ausschütten, auf dem Rosen blühten. Die langen Zweige beschatteten gerade den Giebel, und an diesem hing eine kleine Glocke. Sollte es diese sein, die man gehört hatte? Ja, darüber waren sich alle einig,
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