ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
Sonne schien zwischen ihre feinen Blätter hinein, die ganz voller Duft waren, und das war für die Rosen gerade so schön, wie für uns, wenn wir in glückselige Gedanken versunken dasitzen.
"Wie herrlich ist das Leben!" sagte jede Rose, "das einzige, was ich noch wünschen möchte, wäre, daß ich die Sonne küssen dürfte, weil sie so warm und klar ist. Ja, und die Rosen dort unten im Wasser möchte ich auch küssen. Sie gleichen uns so sehr. Ich möchte die süßen, kleinen Vögel dort unten im Neste küssen; über uns sind auch welche, sie stecken die Köpfe heraus und piepen ganz leise und haben noch gar keine Federn, wie ihr Vater und ihre Mutter. Es sind gute Nachbarn, die wir über uns und unter uns haben. O, wie herrlich ist doch das Leben."
Die kleinen Vögel oben und unten - die unten waren ja nur ein Widerspiel im Wasser, - waren Spatzen, und Vater und Mutter waren Spatzen; sie hatten sich in das leere Schwalbennest vom vorigen Jahre gesetzt; dort lagen sie nun und fühlten sich zu Hause.
"Sind das Entenkinder, die dort schwimmen?" fragten die Spatzenjungen, als sie die Entenfedern auf dem Wasser dahintreiben sahen.
"Tut vernünftige Fragen, wenn Ihr fragt" sagte die Mutter. "Seht Ihr nicht, daß es eine Feder ist, lebendiges Kleiderzeug, wie ich es habe und Ihr es auch bekommen werdet? Aber unseres ist feiner. Wenn wir sie nur oben im Neste hätten, denn das wärmt. Ich möchte wohl wissen, was die Enten so erschreckt hat. Es muß etwas aus dem Wasser gewesen sein; denn ich war es gewiß nicht, obwohl ich freilich etwas laut "Piep" zu Euch gesagt habe. Die dickköpfigen Rosen müßten es eigentlich wissen, aber sie wissen nie etwas; sie sehen nur sich selbst an und riechen. Ich habe diese Nachbarn herzlich über."
"Hört die süßen, kleinen Vögel da oben" sagten die Rosen, "sie wollen jetzt auch anfangen zu singen. - Sie können noch nicht recht, aber es wird schon kommen. - Was muß das für ein Vergnügen sein! Es ist doch ganz hübsch, solche lustige Nachbarn zu haben."
Da kamen zwei Pferde im Galopp daher, sie sollten getränkt werden; ein Bauernjunge saß auf dem einen. Er hatte alle seine Kleider ausgezogen bis auf seinen schwarzen Hut, der war so schön und groß und breit. Der Knabe pfiff, als sei er ein kleiner Vogel, und ritt in den Teich bis an die tiefste Stelle. Als er an dem Rosenstrauch vorbeikam, riß er eine der Rosen ab und steckte sie auf den Hut. So glaubte er recht geputzt zu sein und ritt wieder fort. Die anderen Rosen sahen ihrer Schwester nach und fragten einander: "Wo reiste sie hin?" aber das wußte niemand.
"Ich möchte wohl auch in die Welt hinaus!" sagte die eine zur andern; "aber hier zu Hause in unserem eigenen Grün ist es auch schön. Am Tage scheint die Sonne so warm, und nachts strahlt der Himmel noch schöner! Da können wir durch die vielen kleinen Löcher sehen, die darin sind!"
Es waren die Sterne, die sie für Löcher hielten, denn die Rosen wußten es nicht besser.
"Wir bringen Leben ins Haus" sagte die Spatzenmutter, "und die Schwalben bringen Glück, sagen die Leute. Aber die Nachbarn dort, so ein großer Rosenbusch an der Mauer, setzt nur Feuchtigkeit an. Ich hoffe, er kommt bald fort, dann kann doch Korn dort wachsen. Rosen sind nur da zum ansehen und daran riechen, höchstens noch zum an den Hut stecken. Jedes Jahr, das weiß ich von meiner Mutter, fallen sie ab, die Bauernfrau salzt sie ein, sie bekommen einen französischen Namen, den ich nicht aussprechen kann, und der mich auch nicht kümmert, und dann werden sie aufs Feuer gelegt, wenn es gut riechen soll. Seht, das ist ihr Lebenslauf; sie sind nur für Augen und Nase. Nun wißt Ihr es."
Als es Abend wurde und die Mücken in der warmen Luft tanzten und die Wolken sich rot färbten, kam die Nachtigall und sang den Rosen vor, daß das Schöne in der Welt wie der Sonnenschein sei, und daß es ewig lebe. Aber die Rosen glaubten, daß die Nachtigall von sich selbst singe, und das konnte man ja auch glauben. Es fiel ihnen gar nicht ein, daß ihnen der Gesang gelte; aber sie wurden fröhlich dabei und dachten daran, ob nicht all die kleinen Spatzenjungen auch zu Nachtigallen werden könnten.
"Ich verstand sehr gut, was der Vogel sang" sagten die Spatzenjungen; "es war nur ein Wort dabei, das ich nicht verstand: was ist "das Schöne"?
"Das ist gar nichts!" sagte die Spatzenmutter; "das ist nur so ein Ausdruck. Oben auf dem Herrenhofe, wo die Tauben
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