ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
nicht denken; das Antlitz sagte: "Das tut nichts, es geht alles viel besser, als man glaubt!"
Sieh, von ihm habe ich meine gute Laune und die Gewohnheit, zuweilen auf den Kirchhof hinaus zu gehen; das ist unterhaltsam, wenn man nur gute Laune mitbringt, und dann halte ich auch das Provinzblättchen, wie er es tat.
Ich bin nicht mehr ganz jung, - ich habe weder Frau noch Kind noch Bibliothek, aber wie gesagt, ich halte das Provinzblättchen, das genügt mir, es ist für mich das beste Blatt, und das war es auch für meinen Vater. Es leistet gute Dienste und enthält alles, was ein Mensch zu wissen braucht: wer in der Kirche und wer in den neuen Büchern predigt, wo man Häuser, Dienstmädchen, Kleider und Nahrungsmittel bekommt, wer ausverkauft und wer von der Erde scheidet, und dann liest man von sovielen Wohltaten und soviele unschuldige Verse, die niemandem weh tun, Heiratsannoncen und Stelldicheine, auf die eingegangen wird oder auch nicht, alles ist einfach und natürlich. Man kann wirklich glücklich leben und sich begraben lassen, wenn man das Provinzblättchen hält, und dann hat man auch
an seinem Lebensende so herrlich viel Papier, daß man sich weich darauf betten kann, wenn man nicht gern auf Hobelspänen liegt.
Das Provinzblättchen und der Kirchhof, das sind und waren immer meine geistanregendsten Spazierfahrten, meine beiden gesegneten Badeanstalten für die gute Laune.
Das Provinzblättchen kann sich ein jeder zu Gemüte führen; aber gehe mit mir auf den Kirchhof, laß uns dorthin gehen, wenn die Sonne scheint und die Bäume grün sind, laß uns zwischen den Gräbern entlang gehen. Jedes von ihnen ist ein geschlossenes Buch mit dem Rücken nach oben. Man kann den Titel lesen, der ankündigt, was das Buch enthält und doch nichts besagt. Aber ich weiß Bescheid, weiß es von meinem Vater her und von mir selbst. Ich habe es in meinem Gräberbuch aufgezeichnet; das ist ein Buch, das ich selbst verfertigt habe zum Nutzen und Vergnügen. Darin liegen sie allesamt, und noch einige mehr.
Nun sind wir auf dem Kirchhofe.
Hier, hinter dem weißgestrichenen Holzgitter, worin einstmals ein Rosenstrauch stand, - nun ist er fort, aber ein wenig Immergrün vom Nachbargrabe streckt seine grünen Finger hinein, um es doch etwas zu schmücken, ruht ein sehr unglücklicher Mann und doch, als er lebte, stand er sich gut, wie man so sagt; er hatte sein gutes Auskommen und noch etwas mehr, aber er ließ sich die Welt, oder vielmehr die Kunst, zu nahe gehen. Saß er des Abends im Theater, um mit ganzer Seele zu genießen, so geriet er völlig außer sich, wenn nur der Maschinenmeister ein zu starkes Licht hinter dem Monde anbrachte, oder der Theaterhimmel vor den
Kulissen hing, wenn er dahinter hängen sollte, oder ein Palmenbaum auf einer Ostseeinsel stand, ein Kaktus in Tirol oder Buchenwald hoch oben in Norwegen. Kann das nicht ganz gleichgültig sein? Wer denkt über so etwas nach. Es ist ja nur Theater, das zu unserem Vergnügen da sein soll. - Dann wieder fand er, daß das Publikum zuviel oder zu wenig klatschte. "Es ist nasses Holz" sagte er, es will heute abend nicht zünden." Und dann wandte er sich um, um zu sehen, was für Leute da seien. Dabei sah er, daß sie ganz verkehrt lachten, an Stellen lachten, die gar nicht zum Lachen angetan waren. Und über so etwas ärgerte er sich und litt darunter und war ein unglücklicher Mensch. Nun liegt er im Grabe.
Hier ruht ein sehr glücklicher Mann, das will sagen, ein sehr vornehmer Mann von hoher Geburt, und das war sein Glück, denn sonst wäre niemals etwas aus ihm geworden. Aber alles ist ja so weise in der Natur eingerichtet, daß es ein Vergnügen ist, darüber nachzusinnen. Er ging vorn und hinten gestickt und war im Empfangszimmer aufgestellt, wie man einen köstlichen, perlenbestickten Klingelzug anbringt, der hinter sich immer eine gute dicke Schnur zu hängen hat, die die eigentlichen Dienste versieht; er hatte auch eine gute Schnur hinter sich, einen Vertreter, der den Dienst für ihn versah und ihn noch tut, aber hinter einem anderen, einem neuen gestickten Klingelzug. Alles ist so weislich eingerichtet, daß es nicht schwer ist, seine gute Laune zu behalten.
Hier ruht, ja, das ist wirklich etwas höchst Trauriges. Hier ruht ein Mann, der siebenundsechzig Jahre lang nur den einen Gedanken hatte, einen guten Einfall kund zu tun. Er lebte nur um dieses guten Einfalls willen. Und dann endlich hatte er wirklich
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