ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
vergesse nicht."
Aber der Wiking achtete ihrer Worte nicht, er war, ebenso wie alle anderen, von ihrer Schönheit betört, wußte auch nichts davon, wie Klein-Helga Gestalt und Sinn bei Tag und Nacht wechselte. Ohne Sattel saß sie wie festgewachsen auf dem Pferde, das in wildem Lauf daherjagte, sprang auch nicht ab, wenn es sich mit den anderen bösartigen Pferden herumbiß. Oft warf sie sich mit allen Kleidern vom Abhange herab in des Fjorde starken Strom und schwamm dem Wiking entgegen, wenn sein Boot dem Lande zusteuerte. Von ihrem herrlichen langen Haar schnitt sie die längste Locke ab und flocht daraus eine Sehne für ihren Bogen: "Selbstgetan, wohlgetan!" sagte sie.
Die Wikingerfrau hatte wohl für die damalige Zeit und Gewohnheit einen festen Willen und ein starkes Gemüt, aber gegen die Tochter gesehen, war sie ein sanftes, ängstliches Weib: sie wußte ja auch, daß ein Zauber über dem entsetzlichen Kinde ruhte.
Nur allzu oft kam es Helga in den Sinn, sich voll böser Gelüste, gerade wenn die Mutter auf dem Söller stand oder in den Hof hinaustrat, auf den Brunnenrand zu setzen, mit Armen und Beinen um sich zu schlagen und sich darauf in das enge, dunkle Brunnenloch fallen zu lassen, wo sie nach Froschart untertauchte und wie der an die Oberfläche kam, um dann katzengleich wieder emporzugklettern wassertriefend durch den Festsaal zu laufen, so daß die grünen Blätter, mit denen der Fußboden bestreut war, in dem rinnenden Wasser schwammen.
Doch ein Band gab es, das Klein-Helga hielt, das war die Abenddämmerung. Da wurde sie still und gleichsam nachdenklich, ließ sich gebieten und leiten. Es war, als ob ein inneres Gefühl sie zur Mutter zöge, und wenn die Sonne sank und die innere und äußere Verwandlung vor sich ging, saß sie still und traurig, zur Froschgestalt zusammengeschrumpft da. Der Körper war nun weit größer als der dieses Tiers, aber gerade dadurch noch abschreckender. Sie sah wie ein abscheulicher Zwerg aus mit einem Froschkopf und Schwimmhäuten zwischen den Fingern. Es lag etwas so Betrübtes in den Augen, mit denen sie umherblickte; eine Stimme hatte sie nicht, nur ein hohles Quaken gab sie mitunter von sich, ganz wie ein Kind, das im Schlafe schluchzt. Da konnte die Wikingerfrau sie wohl auf ihren Schoß nehmen, die häßliche Gestalt vergessen und nur die traurigen Augen sehen; mehr als einmal sagte sie dann: "Fast möchte ich wünschen, daß Du immer mein stummes Froschkind wärest; für mich bist Du häßlicher anzusehen, wenn Du nach außenhin schön bist."
Und sie schrieb Runen gegen Zauber und Krankheit und warf sie über das schlimme Geschöpf, aber die Besserung trat nicht ein.
"Man sollte nicht glauben, daß sie so klein gewesen ist und in einer Seerose hat liegen können!" sagte der Storchvater. "Nun ist sie ein ganzer Mensch und ihrer ägyptischen Mutter leibhaftiges Ebenbild. Nie haben wir die Mutter seitdem gesehen! Sie konnte sich nicht retten, wie Du und der Gelehrteste da drüben glaubtet. Ich bin nun Jahr aus Jahr ein kreuz und quer über das Wildmoor hingeflogen, aber sie gab nie ein Lebenszeichen von sich. Ja, ich kann es Dir ja gestehen, ich bin in den Jahren, wo ich hier einige Tage vor Dir ankam, um das Nest auszubessern und ein und das andere in Stand zu setzen, jedesmal eine ganze Nacht lang wie eine Eule oder Fledermaus unaufhörlich über das offene Wasser hingeflogen, aber ohne jeden Gewinn. Die Schwanenkleider, die ich und die Jungen vom Nil hier herauf geschleppt haben - beschwerlich genug war es, in drei Reisen haben wir es einteilen müssen - liegen auch noch unbenützt da. Schon so lange Jahre haben sie nun auf dem Boden des Nestes herumgelegen, und geschieht hier einmal ein Feuerunglück, und das Blockhaus brennt ab, so sind sie doch weg."
"Und unser gutes Nest ist weg!" sagte die Storchmutter, "daran denkst Du weniger als an das Federzeug und die Moorprinzessin! Du kannst ja zu ihr hinabtauchen und gleich unten im Sumpfe bleiben! Du bist gegenüber Deiner eigenen Familie ein schlechter Vater, das habe ich gesagt, seit ich das erste Mal auf Eiern lag. Wenn nur nicht wir oder unsere Jungen von der tollen Wikingerdirne einmal einen Pfeil in die Flügel gejagt bekommen! Sie weiß ja nicht, was sie tut! Wir sind doch länger hier zuhause als sie, das sollte sie bedenken; wir vergessen nie unsere Pflichten, wir geben jedes Jahr unsere Abgaben: eine Feder, ein Ei und ein Junges, wie es billig ist. Glaubst Du, wenn sie
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