Anemonen im Wind - Roman
über die Ebene, und der Staub hing wie ein mächtiger Vorhang im Süden und verdeckte alles, was dahinter lag. Sie waren in großer Bedrängnis, und es gab kein Entkommen.
Ellie hatte Mühe, Clipper zu beruhigen. Die Zügel fest umklammernd, stopfte sie ihren Hut tief in die Tasche ihres Overalls und duckte sich dicht an den Hals des Pferdes, weil der Wind sie aus dem Sattel zu heben drohte.
»Runter von der Straße!«, brüllte John durch das Heulen des Windes. »Eingraben!« Er packte ihre Zügel und zerrte das störrische Pony in eine flache Mulde am Rande des holprigen Wegs. Es war nicht mehr als ein Graben, den das ablaufende Wasser während der Regenzeit im Laufe der Jahre geformt hatte, aber ein anderer Schutz fand sich nicht. Sie glitten aus dem Sattel und bemühten sich, ihre scheuenden, sich aufbäumenden Pferde zu beruhigen, während die Staubschleier heranrasten und mit dämonischem Geheul über sie herfielen.
Ellies Schrei verlor sich in dem Tosen. Es hob sie von den Füßen, entriss ihr Clippers Zügel, die ihr Rettungsanker gewesen waren, und schleuderte sie wie eine Lumpenpuppe in den Mahlstrom. Sie fühlte Johns Hand, die sich an ihren Overall krallte; verzweifelt umklammerte er ihre Taille, und der Wind zerrte von hinten an ihnen. Dann war Ellie in seinen Armen, und er presste sie fest an seine Brust, zu stolperndem Lauf getrieben. Mit knochenbrecherischer Wucht, die Ellie den Atem nahm, wurden sie zu Boden geworfen und über das Geröll geschoben. Das wütende Heulen gellte Ellie in den Ohren und betäubte ihre Sinne. Staub blendete sie und drohte sie zu ersticken; er kroch in Nase und Augen und knirschte auf der Zunge. Entsetzt klammerte Ellie sich an den Vater, der irgendeinen Halt in der Erde zu finden suchte.
Ellie hatte jedes Gefühl für Zeit und Richtung verloren, als sie von ihm auf den Boden gedrückt wurde. Mit fest geschlossenen Augen vergrub sie das Gesicht in seiner Jacke und rang nach Atem. Sie spürte das Vibrieren seiner Stimme in seinem Körper, aber der Sturm peitschte seine Worte davon, und die ganze Welt drang auf sie ein, dunkel und erfüllt von beißendem,erstickendem Staub. Felsbrocken wankten, rollten und prallten gegen Ellie, bevor sie verschwanden. Steine flogen, schnell und tödlich wie Gewehrkugeln. Sträucher verhakten sich für einen Augenblick an den beiden Reisenden und wurden dann fortgewirbelt in die Finsternis. Äste und Zweige peitschten vorüber, und Dornen zerrten an Kleidern und Haut wie die Klauen wilder Tiere. Der heulende Dämon des Sturms schien entschlossen, Ellie und John in Besitz zu nehmen. Er riss an ihren Haaren und Kleidern und stieß sie immer weiter über den rauen Boden. Zum ersten Mal in ihrem Leben fing Ellie an zu beten.
Joe und Charlie hatten sich von den Männern auf der Farm Wila Wila verabschiedet und waren jetzt auf dem Weg nach Osten, nach Richmond. Sie hatten gehört, dass ein Rinderzüchter Leute brauchte, um seine Herde an die Küste zu treiben, und die Gelegenheit, zum ersten Mal das Meer zu sehen, war eine verlockende Aussicht für die siebzehnjährigen Zwillinge. Die langen Monate der Wanderschaft, in denen sie auf hartem Boden geschlafen und von der Wohlfahrt gelebt hatten, waren vorüber. Der aufregende Wildpferdeauftrieb auf Wila Wila hatte ihnen Reittiere verschafft, und sie hatten saubere Kleider und Geld in den Taschen. Kein Wunder, dass das Adrenalin in ihren Adern rauschte.
Joe strich mit der Hand über seine Bartstoppeln. Er war dunkelhaarig, und sein Bart wuchs schneller als der von Charlie. Das Jucken war ihm unangenehm. Lächelnd schaute er hinüber zu seinem Zwillingsbruder mit den hellen Stoppeln am Kinn und dem blonden Haar, das lockig über den Kragen fiel. »Schätze, es wird Zeit, dass wir uns mal rasieren und die Haare schneiden«, sagte er. »Sehen ja aus wie zwei Landstreicher.«
Charlie lachte. »Die Zeiten sind vorbei, Alter. Ich denke, die Mädchen werden nur so anbeißen, wenn wir nach Richmond kommen.« Seine blauen Augen funkelten, und das ansteckendeLachen offenbarte kräftige, ebenmäßige Zähne und eine Andeutung von trockenen Falten an Mund- und Augenwinkeln. »Das ist das wahre Leben, was?«
Joe grinste. »Ganz recht, Alter.« Sie hatten einen weiten Weg hinter sich, seit sie die baufällige Hütte zu Hause in Lorraine verlassen hatten. Einen weiten Weg seit jenen trostlosen Jahren der Armut und des Leids, die ihre Eltern unter die Erde und die Farm in die Hände der Bank gebracht
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