Anemonen im Wind - Roman
Abwechslung mal ein bisschen Vertrauen zu mir zeigst«, grollte er. »Ich bin vielleicht ein Kerl aus der Großstadt, aber ich habe uns ohne fremden Rat bis hierher gebracht und werde es auch noch zu deiner Tante Aurelia schaffen.«
Ellie schwieg, denn sie wusste, dass ihr Vater in seinem Stolz gekränkt war. Es hatte jetzt keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Der lange Weg von Sydney hierher war eine Strapaze für sie beide gewesen, aber für einen Mann, der nichts über das Outback wusste und die Verantwortung für seine Tochter zu tragen hatte, war es sicher besonders hart gewesen. Sie hatten sich mühsam mit Almosen und Wohlfahrtshilfe über Wasser halten können; Arbeit war schwer zu finden gewesen, und sie wusste,dass ihr Vater kurz vor dem Zusammenbruch gestanden hatte, als die Gowrie-Farm sie endlich für den alljährlichen Viehtrieb nach Longreach angeheuert hatte. Ellie zog sich die Hutkrempe tiefer ins Gesicht, um sich vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, und die nächsten zwei Stunden ritten sie in bedrückendem Schweigen weiter.
Der Himmel verdunkelte sich, aber der Wind hatte nachgelassen, und eine gespenstische Stille umgab sie, eine bedrohliche Ruhe, in der man keinen Vogel singen, ja, nicht einmal Grillen zirpen oder Fliegen summen hörte. Ellie konnte ihre Befürchtungen nicht länger für sich behalten. »Das Unwetter kommt näher, Dad«, sagte sie mit einer Gefasstheit, die den Aufruhr in ihrem Innern nicht erahnen ließ. »Lass uns lieber da drüben Schutz suchen.« Sie zeigte nach Westen, wo ein Vulkanausbruch in grauer Vorzeit Felsen und Canyons geschaffen hatte. Die blauen und roten Berge waren uralte Monolithe, auf denen fast nichts wuchs, und die Erde ringsum war von tiefen Spalten und rasiermesserscharfen Hindernissen aus Stein und Geröll übersät. Ellie fröstelte trotz der erstickenden Hitze, denn sie wusste, es würde viel Mut erfordern, in diese tief verschatteten, unheimlichen Canyons einzudringen.
John schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich«, sagte er knapp. »Die Pferde werden sich die Beine brechen. Wir reiten noch ein Stückchen weiter und sehen, ob’s flacher wird. Vielleicht finden wir auf der anderen Seite Schutz.«
Unruhig beobachtete Ellie das nahende Unwetter. »Dazu bleibt keine Zeit!«, rief sie. »Lass uns lieber sofort was suchen.«
»Du tust, was ich dir sage, verdammt!«, erwiderte er schroff. »Du machst ein Drama aus allem, genau wie deine Mutter. Beweg dich!«
Ellie biss sich auf die Unterlippe, um eine zornige Erwiderung zu unterdrücken. Sie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit Alicia, und es war unfair von Dad, diesen Vergleich anzustellen. Aber wenn sie hier keinen Unterschlupf fanden, würde der Sturm sie in offenem Gelände überfallen. »Ich bin kein verdammtes Kind mehr, Dad!«, schrie sie. »Warum kannst du nicht ausnahmsweise mal auf mich hören?«
John saß kerzengerade im Sattel, als er davonritt, den Blick starr auf den leeren Horizont gerichtet. Er gab keine Antwort. Ließ nicht einmal erkennen, dass er sie gehört hatte.
Die Hitze war drückend, die Stille endlos, als sie die Vulkanberge hinter sich ließen und weiter hinaus in die Ebene ritten. Ellie warf John besorgte Blicke zu. Ihre Angst wuchs. Wie konnte sie ihrem Vater beibringen, dass seine Entscheidung falsch war? Dass er auf sie hören und schon vor zwei Stunden in den Canyons hätte Schutz suchen sollen? Denn hier draußen war nichts – nicht einmal ein Schatten. Aber seine sture Entschlossenheit, die Zügel in der Hand zu behalten, war ihr in den letzten Monaten nur allzu vertraut geworden. Ellie wusste, dass sein Stolz ihm nicht erlauben würde, nun nachzugeben. Er wollte verdammt sein, wenn er sich von einer lächerlichen Kleinigkeit wie einem Staubsturm aufhalten ließe – auch wenn sie beide darin umkommen würden.
Der Vormittag ging dahin. Ellie musste ihren Hut festhalten, als der Wind zunahm. Sie vergrub das Kinn im Kragen, und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, denn der Staub wirbelte jetzt um sie herum. Der Wind blies von hinten und trieb sie immer weiter auf den öden Horizont zu. Schließlich zügelte Ellie ihr verängstigtes Pony und bot dem Schrecken, der sie verfolgte, die Stirn. Der Himmel war ockergelb von Gewitterwolken, die sich heranwälzten. Heulend wie ein Dingo, fegte der Wind über die Ebene heran und warf alles nieder, was ihm im Wege stand. Bäume wurden entwurzelt und himmelwärts geworfen wie Streichhölzer. Spinnifex-Gras wirbelte
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