Ange Pitou, Band 1
welcher sie führt, und nichts anderes; im ganzen bleibt er immer ein Kuhführer oder Kuhhirte.
Mehr noch, jener von Virgil erwähnte Titerus, der am Fuße einer Buche liegt und sich in so schönen Versen zu der Ruhe, die ihm Augustus bereitet hat. Glück wünscht, war auch ein Schäfer. Ferner war ein Schäfer jener Mecibeus, der sich so poetisch darüber beklagt, daß er seinen Herd verlassen soll.
Sicherlich sprachen alle diese Leute gut genug Lateinisch, um Abbes zu werden, und dennoch wollten sie lieber ihre Ziegen den bittern Geißklee abweiden sehen, als Messe lesen oder Vesper singen. Es mußte also, im ganzen genommen, der Stand eines Hirten auch seine Reize haben. Wer hielt übrigens Pitou ab, ihm die Würde und die Poesie zurückzugeben, die er verloren? Wer hielt Pitou ab, den Palämons und Menalkes der umliegenden Dörfer Gesangskämpfe vorzuschlagen? Niemand. Sicherlich hatte Pitou mehr als einmal auf dem Chor gesungen, und wenn er nicht von dem Abbé Fortier, der ihn sogleich mit seiner gewöhnlichen Strenge der Würde als Chorknabe entsetzte, beim Austrinken des Weines der Meßkännchen ertappt worden wäre, so konnte ihn dieses Talent weit führen. Er verstand es allerdings nicht, dieHirtenflöte zu blasen, aber er wußte in allen Tonarten das Röhrchen zu spielen, was sich ungemein gleichen mußte. Er schnitt zwar seine Flöte nicht selbst aus Röhren von ungleicher Größe, aber aus Zweigen vom Lindenbaum und vom Kastanienbaum machte er Pfeifen, deren Vollkommenheit ihm den Beifall seiner Kameraden eintrug. Pitou konnte also Schäfer sein, ohne sich zu sehr herabzuwürdigen; er stieg zu diesem in neuerer Zeit schlecht geschätzten Stande nicht herab, er hob ihn vielmehr zu sich hinauf.
Überdies waren die Schäfereien unter die Leitung von Jungfer Billot gestellt, und Befehle aus dem Munde Katharinens erhalten, hieß nicht Befehle erhalten.
Doch Katharine wachte ihrerseits über der Würde von Pitou.
Als an demselben Abend der junge Mann auf sie zutrat und sie fragte, um welche Stunde er abgehen müsse, um mit den Schäfern zusammenzutreffen, antwortete Katharine lächelnd:
Sie werden nicht abgehen
Warum nicht? fragte Pitou erstaunt.
Ich habe meinem Vater begreiflich gemacht, die Erziehung, die Sie erhielten, stelle Sie über die Beschäftigung, die er Ihnen zugeschieden. Sie werden im Pachthofe bleiben.
Ah! desto besser, rief Pitou; somit werde ich Sie nicht verlassen.
Der Ausruf war dem naiven Pitou entschlüpft. Doch er war nicht so bald aus seinem Munde, als ihm die Röte bis über die Ohren stieg, während Katharine ihrerseits den Kopf senkte und lächelte.
Ach! verzeihen Sie, das ist mir unwillkürlich aus dem Herzen gekommen. Sie dürfen mir darum nicht grollen, sagte Pitou.
Ich grolle Ihnen auch nicht, Herr Pitou, erwiderte Katharine, es ist nicht Ihre Schuld, wenn Sie ein Vergnügen daran finden, bei mir zu bleiben.«
Hier trat ein kurzes Stillschweigen ein. Darüber darf man sich nicht wundern; die zwei armen Kinder hatten sich so viele Dinge in so wenig Worten gesagt!
Aber ich kann nicht im Pachthofe bleiben, ohne hier etwas zu thun. Was werde ich im Pachthofe thun? fragte Pitou.
Sie werden thun, was ich that. Sie werden die Schreibereien, die Abrechnungen mit den Taglöhnern besorgen, die Einnahmen und Ausgaben verzeichnen. Sie können doch rechnen, nicht wahr?
Ich weiß meine vier Regeln, antwortete Pitou stolz.
Also eine mehr als ich, sagte Katharine., Ich habe es nie über die dritte bringen können. Sie sehen wohl, mein Vater wird dabei gewinnen, daß er Sie als Rechnungsführer hat; und da ich meinerseits dabei gewinnen werde, und da Sie Ihrerseits dabei gewinnen werden, so wird alle Welt gewinnen.
Und was gewinnen Sie dabei, Jungfer Katharine? fragte Pitou.
Ich gewinne dabei Zeit, und während dieser Zeit werde ich mir Hauben machen, um hübscher zu sein.
Ah! rief Pitou, ich finde Sie schon sehr hübsch ohne Haube.
Wohl möglich! doch das ist Ihr eigentümlicher Geschmack, erwiderte lachend das Mädchen. Übrigens kann ich am Sonntag nicht in Villers-Cotterets tanzen, ohne eine Art von Haube auf dem Kopfe zu haben. Das ist gut für die vornehmen Damen, die Puder zu nehmen und mit bloßem Kopfe zu gehen berechtigt sind.
Ich finde Ihre Haare schöner, als wenn sie Puder hätten.
Ah! ah! ich sehe, Sie sind gekommen, um mir Komplimente zu machen.
Nein, Jungfer Katharine, das verstehe ich nicht. Beim Abbé Fortier hat man das nicht gelernt.
Hat man dort tanzen
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