Angeklagt - Dr. Bruckner
Pellenz durchquerte den Garten, um ins Ärztehaus zu gehen. Sie hatte bisher nichts davon erfahren, daß man sie der Beihilfe am Tod der drei Menschen beschuldigte, aber sie war froh, daß Professor Bergmann es ihr gesagt hatte. Er hatte ihr erklärt, er glaube nicht an solche Gerüchte, trotzdem belastete sie der Gedanke sehr. Sie brauchte jemand, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Was lag näher, daß ihr als erster Peter Schnell einfiel. Er war der einzige, der sie verstehen würde, denn er war ja schließlich auch ein Betroffener …
Der Forsythienstrauch stand in voller Blüte. Ein Teil der Zweige hing über den Weg und streifte ihre Wange, als sie daran vorbeiging. Sie blieb stehen und riß den Zweig ab, der ihr Gesicht berührt hatte. Es war nicht leicht. Der Strauch schien das, was ihm gehörte, zäh zu verteidigen. Sie drehte und wand den Zweig, aber er wollte sich nicht vom Stamm lösen.
»Darf ich Ihnen helfen?« ertönte eine Stimme hinter ihr. Sie fuhr erschrocken herum und schaute in das grinsende Gesicht des Pflegers Siegfried Buhmann. Er hielt bereits ein aufgeklapptes Taschenmesser in der Hand.
Erschrocken wich sie zurück. Es sah aus, als ob er sich auf sie stürzen und sie erstechen wollte. Er bemerkte es und sagte, noch stärker grinsend: »Haben Sie keine Angst, Frau Doktor. Ich tue Ihnen nichts.« Er nahm ihr den Zweig aus der Hand. Mit einem Ruck schnitt er ihn vollends ab und reichte ihn ihr mit einer Verbeugung. »Das wird eine Zierde für Ihr Zimmer sein. Am liebsten würde ich ihn selbst in eine Vase stellen – in Ihrem Zimmer!«
Einen Augenblick lang kam Barbara der Gedanke, ihn geradeheraus zu fragen, ob er vielleicht der Urheber dieses Gerüchtes über sie sei. Sie schwieg aber, denn die Gegenwart des Mannes war ihr unangenehm. Sie mußte ihm so rasch wie möglich entkommen. »Danke sehr!« sagte sie, wandte sich um und legte die letzten Schritte zum Ärztehaus zurück.
Es sah aus, als ob er mitkommen wollte. Er ging auch ein paar Schritte, blieb aber dann stehen, als er merkte, daß sie rascher ging, um seine Begleitung zu verhindern.
Sie schloß die Tür auf und betrat das Ärztehaus. Marthe Schwertleins Zimmertür stand wie gewöhnlich halb offen. Aber sie konnte das alte Fräulein nicht an ihrem gewöhnlichen Platz entdecken, von dem aus sie einen Überblick über den Flur hatte.
Sie ging zu dem Zimmer, das man ihr während ihres Aufenthaltes in der Klinik zugewiesen hatte, schloß die Tür auf, nahm ein Glas von der Konsole des Waschbeckens, füllte es mit Wasser und steckte den Zweig hinein.
Dann nahm sie den Hörer auf, öffnete ihr Notizbuch und suchte nach der Nummer Peter Schnells. Es dauerte eine Weile, bis er sich meldete. »Schnell?«
»Ich bin es – Barbara …« Ihre Stimme klang aufgeregt. »Wir sehen uns doch heute Abend? Ich möchte etwas mit dir besprechen …« Sie hielt mitten im Satz inne, als seine Stimme sie unterbrach: »Ich habe heute Abend leider keine Zeit. Es tut mir leid.«
Es schauderte sie plötzlich. Seine Stimme klang so kalt und fremd …
»Du kannst heute nicht? Wann können wir uns dann sehen?« Sie hatte plötzlich das Gefühl, daß sich eine eiskalte Hand um ihren Hals legte und langsam zudrückte.
»Ich habe vorläufig keine Zeit. Ich muß«, er zögerte, und Barbara hatte das Gefühl, daß er sich eine Lüge ausdachte, »dienstlich verreisen. Ich fahre heute schon. Es hat keinen Zweck, mich anzurufen. Guten Tag!« Der Hörer wurde aufgelegt.
Barbara hielt den Hörer in der Hand. Sie starrte ihn an, als könne er ihr Auskunft darüber geben, was geschehen war. Sie begriff den plötzlichen Sinneswandel nicht; sie verstand nicht, warum er sie nicht sehen wollte.
Professor Bergmann hatte von dem Gerücht gesprochen, das über sie umging. Vielleicht hatte er es auch schon gehört – möglicherweise hatte es ihm jemand zugetragen. Sie wußte nicht, warum sie in diesem Augenblick an Siegfried Buhmann denken mußte. Sie versuchte den Gedanken, ihn als Urheber des Gerüchtes anzusehen, von sich zu weisen. Sie mußte die Sache aufklären, mußte mit Peter Schnell darüber sprechen. Sie nahm den Hörer auf, wählte seine Nummer, aber es ertönte nur das Besetztzeichen.
Später versuchte sie es noch einmal, seine Nummer zu wählen. Es war inzwischen einige Zeit vergangen, so daß er ein eventuelles Gespräch beendet haben könnte. Dieses Mal erklang das Rufzeichen. Sie schöpfte Hoffnung, atmete tief durch, um sich zu
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