Angeklagt - Dr. Bruckner
habe keine Kinder, Sie waren mir wie ein Sohn. Und Sie können sich vorstellen, was es für einen Vater bedeutet, wenn ihn sein Sohn verläßt. Ich hatte immer gehofft, daß Sie einmal mein Erbe übernehmen, mein Nachfolger werden. Lange wird es ja nicht mehr dauern, bis ich hier Schluß machen werde. Dann sollten Sie an der Spitze dieser Klinik stehen, sollten meinen Namen hochhalten …«
»Den ich jetzt unbewußt in den Schmutz gezogen habe«, unterbrach ihn Dr. Bruckner.
»Nicht Sie haben es getan!« Der Professor zeigte auf die Tischplatte. »Die Gazetten tragen daran die Schuld. Sie haben Ihre Pflicht getan. Ihnen ist nichts vorzuwerfen.«
»Solange ich den Verdacht nicht entkräften kann, wird man mir das immer wieder vorwerfen. Und dieser Herr Schnell scheint sich auf mich eingeschossen zu haben. Er läßt keine Gelegenheit aus, mir eins auszuwischen. Wenn Sie am Anfang auch meinten, wir sollten die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und nicht darauf herumtrampeln, damit sich der Gestank nicht noch weiter verbreitet, so haben Sie mit Ihrer Prognose unrecht gehabt. Er trampelt! Er bemüht sich, den Gestank in möglichst weite Kreise zu treiben. Ich habe manchmal den Eindruck, daß selbst die Kollegen, mit denen ich immer gut stand, sich nun von mir abwenden.«
»Sie haben einen sensitiven Beziehungswahn entwickelt, Kollege Bruckner!« Bergmanns Stimme klang vorwurfsvoll. »Aber das ist verständlich. Wahrscheinlich würde es mir genauso gehen. Steter Tropfen höhlt den Stein, wie schon der Volksmund sagt.«
Professor Bergmann nahm Dr. Bruckners Hand, die auf dem Schreibtisch lag. »Ich wollte Ihnen einen Vorschlag machen. Was halten Sie davon, wenn Sie vorerst nicht kündigen, sondern wenn ich Sie zunächst einmal drei Monate beurlaube. Es ist zu früh, um eine Entscheidung zu treffen. Warten wir drei Monate ab! Sie werden beurlaubt, gehen in der Zwischenzeit spazieren oder verreisen irgendwohin, wo es schön ist. Sie lieben doch Paris! Warum fahren Sie nicht dahin – drei Monate bezahlter Urlaub … Könnte Sie das nicht locken?« Als Dr. Bruckner nicht antwortete, fuhr er fort: »Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie mein Angebot annehmen würden. Am Ende der drei Monate besprechen wir alles noch einmal. Dann wird sicherlich längst Gras über die Geschichte gewachsen sein …«
»Um darauf zu warten, bis wieder ein Kamel kommt, das es runterfrißt«, warf Dr. Bruckner ein.
»Sie sind zu aufgeregt, Kollege Bruckner.« Der Professor stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hören Sie auf den Rat eines alten Mannes, der sich auch früher manchmal in einer ähnlichen Situation befunden hat. Glauben Sie nicht, daß mein Leben als Arzt völlig reibungslos verlaufen ist. Hätte ich damals nicht auch auf meinen alten Chef gehört, wäre ich heute vielleicht irgendwo Pharmareferent, würde versuchen, Arzneimittel an den Arzt zu bringen. Bitte – ich beurlaube Sie drei Monate mit sofortiger Wirkung …«
»Ich habe keine Wohnung in der Stadt. Ich lebe hier in der Klinik – im Ärztehaus.«
»Ich sagte Ihnen ja – fahren Sie nach Paris! Gehen Sie den, ganzen Tag spazieren, besuchen Sie Ausstellungen und Theater – flirten Sie ein wenig und versuchen Sie, sich von der Klinikbindung zu lösen. Drei Monate lang! Sie werden sehen, das wird Ihr Gemüt wieder in Ordnung bringen. Und wenn Sie unsere Klinik verlassen haben, wird dieser –«, Professor Bergmann legte seine ganze Verachtung in den Namen hinein, »Peter Schnell Sie auch vergessen haben. Man muß ihm das Angriffsziel nehmen. Dann hat er nichts mehr, wonach er schießen kann. Einverstanden?«
Dr. Bruckner hatte sich erhoben. Er stand mit gesenktem Kopf vor dem Chef und überlegte.
Dann klopfte Bergmann ihm wieder auf den Rücken. »Machen Sie, daß Sie wegkommen! Packen Sie Ihre Koffer, verschwinden Sie aus der Klinik, und rufen Sie mich mal aus Paris an. Sie können mir ja gelegentlich über Ihren –«, Bergmann schmunzelte, »Geisteszustand einen Bericht geben. Sie werden sehen, daß der Schuldkomplex, den man Ihnen einzureden versucht, schwinden wird. Sie werden wie der Phönix aus der Asche geläutert wiederkehren! Verzeihen Sie meine pathetischen Worte.« Er begleitete Thomas Bruckner zur Tür, öffnete sie und schob ihn hinaus. »Drei Monate Urlaub – dann kommen Sie zurück und arbeiten wie vorher! Kein Mensch wird dann mehr an die unangenehmen Dinge denken, die jetzt passieren.«
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Barbara
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