Angel City Love (German Edition)
Restaurant.
Der Restaurantbereich war wie der Rest des Diners alt und nicht gerade bemerkenswert mit seinen Neonleuchten, die über dem ausgetretenen schwarz-weißen Linoleum flackerten. Er war wie ein liegendes L geschnitten. Im längeren Teil befand sich auf einer Seite die Theke mit ein paar Barhockern davor, auf der anderen Seite standen Sitzecken aus brüchigem beigem Kunstleder direkt vor Fenstern, die auf die Straße hinausgingen. Der kürzere Teil des L ging zu der Seite mit dem Haus und dem Hügel hinaus. Daher hatte man dort, ähnlich wie von Maddys Zimmer aus, eine fast perfekte Aussicht auf das berühmte Wahrzeichen der Stadt. Maddy brachte die bestellten Gerichte an die Tische vier und sieben, dann wollte sie zurück, um den Wasserkrug und die Kaffeekanne zu holen und die Getränke nachzufüllen.
»Verzeihen Sie, Miss?«, fragte eine übergewichtige Dame an einem Tisch sie im Vorübergehen. »Könnten Sie wohl den Fernseher wieder in Gang setzen?«
Maddy blickte zu dem uralten Magnavox in der Ecke hinüber, auf dem nur ein Flimmern zu sehen war. Wie so oft. Die Frau hatte gerötete Wangen und ihr Gesichtsausdruck ähnelte dem von einem ungeduldigen Kind. »Haben Sie es denn nicht gehört? In Malibu gab es gestern Nacht eine Rettungs aktion.« Sie betonte das Wort Rettung , als wäre es das Aufregendste und Wichtigste der ganzen Welt.
»Ach wirklich?«, murmelte Maddy gleichgültig. Sie lehnte sich mit einem Knie an den Tisch der Dame und streckte die Hand nach oben, um seitlich auf das Gerät zu klopfen. Nach einem kurzen Augenblick hatte der Fernseher wieder Empfang, und das Diner war erfüllt von der Stimme der Sprecherin auf ANN – dem Angel News Network. Wenn es nach Maddy gegangen wäre, hätte sie lieber etwas anderes gesehen, aber die Kunden bestanden darauf, laufend über die neusten Nachrichten in Sachen Engel informiert zu werden, daher lief nichts anderes bei ihnen als ANN .
»Ein schrecklicher Unfall und zugleich eine dramatische Rettungsaktion haben sich gestern Nacht bei der Kollision zweier Fahrzeuge in Malibu ereignet – der Schutzengel hatte zum Glück eine der Angelcams von der NGE bei sich!«, verkündete die Nachrichtensprecherin, deren Gesicht durch die dicke Staubschicht auf dem Magnavox kaum zu erkennen war. »In der kommenden Stunde zeigen wir Ihnen aufregendes Bildmaterial aus erster Hand sowie ein exklusives Interview mit Erzengel Mark Godspeed, live hier auf ANN .«
Bei dem Wort Angelcam richtete die Frau sich mit weit aufgerissenen Augen in der Sitzecke auf und starrte auf den Bildschirm, während man in einer Vorschau auf das verlockende Filmmaterial eine scharfe Haarnadelkurve des Pacific Coast Highway im Nebel sah.
»Oh mein Gott! Schauen Sie nur!«, sagte sie, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen. »Können Sie sich vorstellen, dass einer dieser Schutzengel ständig über Sie wacht und Sie beschützt, ganz gleich, was auch passiert? Und dann kommt man in seinen starken Armen zu sich und alle haben dabei zugesehen? Eines Tages werde auch ich gerettet werden.«
Doch Maddy hatte sich bereits wieder abgewandt. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nie so recht verstanden, was die ganze Aufregung um die Engel sollte. Seit sie sich vor über hundert Jahren den Menschen offenbart hatten – beim großen Erwachen, wie sie das nannten – und angefangen hatten, aus ihrer Fähigkeit, Menschenleben zu retten, Profit zu schlagen, schienen die Menschen an nichts anderem mehr interessiert als an den Unsterblichen. Alle bis auf Maddy.
Klar, sie lebte in Los Angeles – oder Angel City, der Hauptstadt der Engel –, doch hatte sie die Faszination der breiten Masse nie ganz teilen können. Sie konnte sich auch nicht für den Ruhm der Engel, ihren Reichtum und ihren ausschweifenden Lebensstil begeistern. Sie gab jedenfalls kein Geld für Klamotten der Engel-Kollektionen aus, sammelte nicht deren Parfums, und ganz bestimmt las sie nicht den Angels Weekly . Wenn man sich all das nicht leisten konnte, war es das Einfachste, sich schlichtweg nicht damit zu beschäftigen. Zu diesem Schluss war sie schon vor langer Zeit gekommen.
Der erste morgendliche Hochbetrieb war schnell vorüber. Wieder und wieder hatte Maddy Stift und Notizblock gezückt, um Bestellungen aufzunehmen, sie hatte den üblichen Frühstücksgästen Teller um Teller mit Eiern, Toast und Würstchen serviert. Gegen Ende ihrer Schicht fand Maddy, als sie in die Küche kam, einen weiteren Teller mit dampfendem Essen auf dem
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