Angela Merkel
wäre die Welt stehengeblieben. Und eine Welt, die sich nicht bewegt, braucht keine Bundeskanzlerin.
Es ist also nicht so, dass Angela Merkel unter dieser Beschleunigung und Verdichtung durch die neuen elektronischen Medien leidet. Aber Politik kann darunter leiden. Der Tag einer Bundeskanzlerin wird durch diese endlose Nachrichtenflut zerhackt. Da jede Nachricht eine neue Lage bedeutet, muss sie sich nach jeder Nachricht neu auf die aktuelle Lage einstellen.
Eine Tageszeitung hat zwei Begrenzungen. Die eine ist Zeit, also der Redaktionsschluss. Die andere ist Platz, die Anzahl der Seiten minus Anzeigen. Das sorgt für eine gewisse Sortierung und Strukturierung. Die Redakteure müssen auswählen, müssen entscheiden, was die wichtigsten Nachrichten des Tages bis 23 Uhr waren. So liegt dem Leser am nächsten Morgen ein professionell aufbereitetes Bild des vergangenen Tages vor. Für den Politiker war das mal einst die Grundlage für die Gedanken und Handlungen des neuen Tages. Durch die Online-Medien und die Nachrichtenkanäle im Fernsehen gibt es diese Struktur nicht mehr. Politik ist zu einem Echtzeitphänomen geworden. Jede politische Nachricht landet sofort bei der Bundeskanzlerin und wird von ihr verarbeitet. Wegen des hohen Zeitdrucks, jeder will Erster sein, ist einnicht unerheblicher Teil dieser Nachrichten bei genauerer Betrachtung nichtig, falsch oder falsch interpretiert. Die Grundlage, aufder Merkel denkt und handelt, ist wackelig.
Natürlich wird auch bei den elektronischen Medien sortiert, aber es gibt einen Überfluss an Platz bei den Online-Medien und einen Überfluss an Zeit bei den Nachrichtenkanälen. Das ist die neue Chance der Nichtigkeit. Jede blöde Einlassung eines Hinterbänklers findet nun sofort ihre Öffentlichkeit, was für eine genauso blöde Erwiderung in Minutenschnelle sorgt. Eine nichtige Debatte beginnt. So kann man viele Stunden mit politischem Müll füllen. Angela Merkel hat ein Auge auf all dies, sie ist nicht der Typ, der sich irgendetwas entgehen lässt. Dass sie ihren Kopf nicht zeitweise wegen Überfüllung mit Informationen schließen muss, liegt an den großen Denkkapazitäten, die sie hat, eine der Grundlagen für ihre Beherrschung von Politik total.
Für viele Medien gilt, dass der Blick auf die Politik hysterisch ist. Das heißt vor allem, dass viele Journalisten einen Erfolg darin sehen, einen Streit zwischen Politikern entdeckt zu haben. Bei dieser Jagd gibt es eine Hierarchie des Streits. Der Streit zwischen Koalition und Opposition, also die Grundlage der Demokratie, zählt medial nicht viel, weil er erwartbar ist, also nicht überrascht und keine Brisanz hat. Der Streit innerhalb einer Koalition ist da schon mehr wert. Die Partner haben sich auf eine gemeinsame Regierung geeinigt, und dann schaffen sie es nicht, ihre Absichten friedlich umzusetzen. Merkels Große Koalition aus Union und SPD war eine Fundgrube für dieStreitsucher. Das heißt, sie mussten nicht groß suchen, sondern wurden von allen Seiten freudig mit Gehässigkeiten gegen den Partner versorgt. Hässlicher Höhepunkt dieses Gebarens war Peter Strucks Satz über die Union: »Die kann mich mal.«
Liebstes Jagdobjekt und in der Hierarchie ganz oben ist der Streit unter Parteifreunden, am besten einer Regierungspartei. Von einer Partei wird erwartet, dass sie eine Verschworenheit ist, dass es einen Grundkonsens unter den Mitgliedern gibt, eine gewisse Zuneigung sogar. Streit zwischen Parteifreunden ist also die in der Politik größtmögliche Abweichung von der Erwartung. Ein anderes Wort für die größtmögliche Abweichung von der Erwartung ist Sensation, und die Sensation ist die wertvollste Währung der Medien. Ein großer Streit innerhalb einer Partei hat etwas Sensationelles und wird daher von den Medien groß aufgearbeitet.
Der zuverlässigste Lieferant für solche Schlagzeilen ist die SPD. Die SPD ist die Partei der großen Dramen, das vorletzte Drama hieß Agenda 2010, das vorerst letzte Drama hieß Hessen. Natürlich muss darüber ausführlich berichtet werden, die Klärung von Sach- und Machtfragen ist das Wesen von Politik. Es kann dabei nicht nur harmonisch zugehen, Streit ist auch ein Zeichen von Lebendigkeit, vom Selbstbewusstsein der Akteure, die eben nicht folgsam sind, und Folgsamkeit ist nicht das, was eine Demokratie vor allem braucht. Die Ruhe in der CDU erinnert manchmal auch an die Ruhe einer Monarchie. Es gilt, was der König sagt und will.
Insofern ist gegen Streit und die
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