Angela Merkel
Nebenregierung war der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel. Sein Kabinett – Lobbyisten, Manager, Journalisten und ausgemusterte Politiker wie Friedrich Merz – forderte alles, was die Unternehmen entlasten könnte, also niedrigere Steuern, weniger Sozialabgaben und weniger Regulierungen. Politik und Staat sollten in eine Nebenrolle gedrängt werden, sie störten nur. Im Zuge der Globalisierung hatten sich ohnehin Konzern- und Finanzstrukturen entwickelt, die sich einer nationalen Kontrolle weitgehend entzogen. Warum dann nicht gleich den Managern ganz das Feld überlassen?
Der Traum von dieser Alternative hat sich im Herbst 2008 erledigt, als der Weltfinanzmarkt zusammenbrach. Es zeigte sich, dass Bankmanager ihr Spiel ohne jedes Ethos getrieben hatten, geleitet nur von Gier. Da wurde auch dem Letzten klar, dass man Leuten, denen man nicht einmal eine Bank überlassen kann, auf keinen Fall den Staat überlassen darf. Weltweit wurden Geldhäuser unterStaatsaufsicht gestellt, die Politiker übernahmen wieder die Macht über das Weltgeschehen, jedenfalls eroberten sie ein größeres Stück zurück. In der Krise wurden sie zur letzten Hoffnung der Bürger.
Damit war geklärt, dass es außerhalb der Politik keine Alternative zu den Politikern gibt. Die dritte Möglichkeit, der Typus des Antipolitikpolitikers, war schon wenige Wochen zuvor gescheitert. Diesen Ansatz gab es immer wieder: Ein Politiker erklärt sich zum Gegenmodell des Establishments, betont seine Menschlichkeit und die Nähe zum Menschen und schürt so Hoffnungen, es könne eine andere, bessere Politik geben. Angela Merkel selbst ist schon so aufgetreten, im Wahlkampf 2005, als sie in ihren Reden behauptete, sie werde Schluss machen mit dem scheinbar ewigen Prinzip der Politik »versprochen – gebrochen«. Sie ließ sich bei ihren Auftritten im Wahlkampf als »die ehrlichste Politikerin Deutschlands« feiern. Als Bundeskanzlerin hat sie davon nicht mehr geredet.
Aber sie bekam es bald mit jemandem zu tun, der die Masche des Antipolitikpolitikers verfolgt hat. Das war Kurt Beck, seit Mai 2006 Vorsitzender der SPD und damit ihr größter Konkurrent. Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, zeigte sich zunächst als klassischer Machtpolitiker, der es geschickt verstand, seinen parteiinternen Konkurrenten, Vizekanzler Franz Müntefering, an den Rand zu drängen. Aber dann machte Beck einige Fehler, der schlimmste war, dass er zur Unzeit ausplauderte, er habe Andrea Ypsilanti grünes Licht für eineKooperation mit der Linkspartei in Hessen gegeben. Im Wahlkampf hatte sie das Gegenteil versprochen.
Beck geriet ins Sperrfeuer der Kritik, parteiintern und auch in den Medien. Seine Fehler und Niederlagen häuften sich. Die Kritik daran deutete er als Auswüchse des unmenschlichen Systems der Bundespolitik. Berlin wurde von ihm zum Feindesland erklärt und als Wildnis beschrieben, in der die Regeln des Wolfsrudels herrschten. Beck wurde zum obersten Politikverdrossenen des Landes, zum Hauptkritiker der Bundespolitik. Er selbst stilisierte sich als Politiker, der nah bei den Menschen ist, der die Sorgen der Leute kennt und versteht. Womöglich stimmt das. Als Ministerpräsident ist er viel unterwegs im Land, er liebt das Deftige und Volkstümliche, und seine Wahlergebnisse zeigen, dass er damit ankommt in Rheinland-Pfalz. Er herrscht dort konkurrenzlos über die eigene Partei, die CDU hat keine Alternative zu ihm hervorgebracht, und die Landespresse schaut wohlwollend auf den Ministerpräsidenten. So lebt er in einem kleinen Idyll der Politik, und er dachte, dass er die Regeln von dort auf Berlin übertragen könne.
Schon vor ihm hatte ein Ministerpräsident erleben müssen, dass Bundespolitik kein Idyll ist. Das war Matthias Platzeck, Ministerpräsident von Brandenburg und Becks Vorgänger als Parteivorsitzender der S PD. Platzeck litt so sehr an den Beanspruchungen der Bundespolitik, dass er krank wurde. Nach einem Hörsturz trat er als Parteivorsitzender zurück. Und noch ein Ministerpräsident ist in Merkels erster Regierungszeit vor den Berliner Ansprüchenin die Knie gegangen. Das ist Christian Wulff, der in Niedersachsen regiert. Er hat offen eingeräumt, dass er sich das Amt des Bundeskanzlers nicht zutraut. Das war ehrlich, denn wer Wulff kennt, traut ihm das auch nicht zu.
An diesen drei Fällen wurde noch einmal deutlich, wie speziell und wie anspruchsvoll die Bundespolitik ist. Niemand kann sie
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