Angela Merkel
dieses Gefühl ist ja nicht falsch. Im Prinzip hat man ihnen mit der Agenda 2010 einen Deal angeboten, einen Gesellschaftsvertrag. Wenn ihr Sicherheiten hergebt, wenn ihr das Risiko auf euch nehmt, bei Arbeitslosigkeitschnell in ein Hartz-IV-Leben zu fallen, wenn ihr außerdem bereit seid, euch mit knappen Lohnerhöhungen zu begnügen, dann versprechen wir euch, dass Arbeitsplätze entstehen. Dieser Deal wurde zunächst eingehalten. Der Einzelne musste zwar Sicherheiten aufgeben und auf Lohnzuwächse verzichten, aber dem Gemeinwohl war mit den Reformen gedient, weil die Arbeitslosigkeit stark gesunken ist.
Der Deal geriet jedoch in Schieflage, als die Zahlen über die Einkommensverteilung bekannt wurden. Offenbar war den einen Verzicht für das Gemeinwohl aufgeladen worden, während die anderen nicht im Traum daran dachten, irgendwelchen Verzicht zu leisten. Der Deal wird komplett gescheitert sein, wenn sich die Rezession in Deutschland entfaltet, weil die Finanzbranche Spiele gespielt hat. Arbeitsplätze gehen verloren, Hunderttausende rutschen bald in Hartz IV.
Das Schlimme ist, dass es dann früher oder später weitere Reformen geben muss, womöglich weiteren Verzicht. Ob das noch einer mitmachen wird, ist ungewiss. Da rächt sich, dass Schröder zu kurz gesprungen ist. Da rächt sich, dass Merkel weitgehend auf sinnvolle Reformen verzichtet hat. Die Bedingungen dafür werden noch schwieriger sein als 2003. Aber das Gesundheitssystem und die Pflegeversicherung brauchen dringend eine nachhaltige neue Struktur. Auch der Haushalt ist wieder aus den Fugen geraten. Insgesamt wird der Sozialstaat mehr über Steuern finanziert werden müssen, um die Arbeit von den Lohnnebenkosten zu entlasten. Die Reichensollten sich dann nicht beklagen, wenn ihnen höhere Lasten zugemutet werden.
Es kommen also große Herausforderungen auf die Politik zu. Ist Merkel die Richtige, um diese Herausforderungen zu meistern?
Merkel hat kein Erkenntnisproblem. Sie sieht all diese Probleme, sie kann klug darüber reden, sie hat Vorschläge, was zu tun ist. Das ist die Angela Merkel aus den Hintergrundgesprächen, die heimliche, versteckte. Die macht leider einen viel besseren Eindruck als die Merkel, die etwas durchsetzen, die Politik machen muss. Wobei sie nicht alles schlecht gemacht hat.
Zunächst die Liste der Dinge, die gutgelaufen sind in ihrer ersten Regierungszeit:
Sie hat Deutschland in der Welt meistens souverän vertreten.
Sie hat das Klimaproblem in seiner katastrophalen Bedeutung erkannt und Europa zu einem Programm gegen die Erderwärmung geführt. Sie hat dieses Thema leider vernachlässigt, als es nicht mehr populär war.
Sie hat der Union eine Wende in der Familienpolitik verpasst. Frauen mit Kindern haben nach Merkels erster Regierungszeit bessere Möglichkeiten zu arbeiten, sie haben auch mehr Druck, einem Beruf nachzugehen. Dafür sorgen bezahlte Erziehungszeiten und das Ende der Ehe als sicherer Hafen für alle Zeiten, auch nach der Scheidung.
Sie hat die Rente mit 67 eingeführt, die notwendig war,um die Altersversorgung der demographischen Entwicklung anzupassen.
Das ist nicht wenig, aber zu wenig für eine herausragende Kanzlerschaft. Dagegen stehen vor allem ihre Versäumnisse bei der Reformpolitik und ihre Folgsamkeit in der Krise. Sie hat nicht einmal gezeigt, dass sie einen großen Kampf führen will, führen kann. Sie hat sich oft versteckt, sie hat es nie riskiert, unbeliebt zu werden. Sie wollte durchkommen, sich eine zweite Kanzlerschaft sichern. Dabei hat sie die Führung ihrer Großen Koalition unterlassen. Das ist eine große Enttäuschung. Fürs Überleben im Amt wird man nicht gewählt, sondern fürs Machen.
Die zweite große Enttäuschung ist die Sprachlosigkeit. Es wäre unbedingt notwendig gewesen, der Bevölkerung deutlich zu machen, dass es angesichts des Klimawandels nicht so weitergehen kann wie bislang. Merkel hat geschwiegen. Es wäre unbedingt notwendig gewesen, der Bevölkerung die Finanzkrise zu erklären und Auswege aufzuzeigen. Merkel hat geschwiegen. Beziehungsweise sie hat hin und wieder geredet, aber sie hat wenig gesagt. Ihre Reden klingen meist nach den Beamten, die ihr die Textbausteine aufgeschrieben haben. Alles angetippt, nichts gewagt, nichts vertieft, niemanden mitgerissen. Keine Führung, auch hier nicht.
Das ist ein merkwürdiger Umgang mit dem Volk. Einerseits wird es sehr ernst genommen. Merkel schaut auf die Umfragen und reagiert darauf. Sie lässt sich etwas
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