Angela Merkel
an Unsterblichkeit, an öffentlicher Bedeutung etwas liegt. Es geht also um viel, um sehr viel, und das erklärt einen Teil der Erbitterung, mit der politische Kämpfe ausgetragen werden. Es gibtnicht viele Plätze, die von der großen Sonne angestrahlt werden, nicht viele Plätze, die einem Unsterblichkeit versprechen. Jeder, der hier mitkämpft, hat sehr viel zu gewinnen und sehr viel zu verlieren. Das prägt die Teilnehmer, und die Hauptprägung ist das Misstrauen. Da nichts unter der Decke bleibt, aber jeder Halbsatz eine ungeheure Bedeutung bekommen kann, handeln alle mit großem Misstrauen gegen andere. Freundschaften unter Spitzenpolitikern gibt es so gut wie nicht. Man verlässt sich auf sich selbst. Wer große Schwächen zeigt wie Kurt Beck, wird schnell erledigt, denn seine Schwäche gefährdet die Position seiner Parteifreunde. Wenn er als Vorsitzender ein schlechtes Wahlergebnis einfährt, kostet das Ministerämter und Sitze im Bundestag, Plätze an der Sonne also.
Ein Beispiel für das Gnadenlose der Politik lieferte in Merkels erster Regierungszeit vor allem die CSU. Dort haben erst Erwin Huber und Günther Beckstein ihren Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Edmund Stoiber erledigt. Huber wurde Parteivorsitzender, Beckstein Ministerpräsident. Dann, nach einer katastrophalen Landtagswahl, hat Stoiber daran mitgewirkt, Huber und Beckstein zu erledigen. Was man da teilweise hört als Journalist in Hintergrundgesprächen ist abstoßend. Es ist manchmal so widerlich, dass man es nicht schreibt, weil man es kaum glauben oder dem Leser nicht zumuten kann. Insofern gibt es im Journalismus eine doppelte Verfälschung. Der Streit wird manchmal übertrieben heftig dargestellt und manchmal unzureichend deutlich.
Das ist Merkels Welt, die Welt der Politik. Es ist keine schöne Welt, sie hat nichts Heimeliges, nichts Angenehmes, sie ist nervös, unbarmherzig, in gewisser Weise unmenschlich. Aber es ist die Welt, die da ist. Man kann sie nicht in kurzer Zeit verändern, ein Einzelner jedenfalls nicht, man muss sich den Gesetzmäßigkeiten unterwerfen, um erfolgreich sein zu können. Beck wollte das nicht. Er sprach immer davon, dass er sich nicht verbiegen lassen würde. Das klingt sympathisch, aber es führt nicht zum Erfolg. Statt »verbiegen« könnte man auch »lernen« sagen. Beck wollte nicht lernen, wie Politik total funktioniert. Deshalb konnte er nur scheitern.
Es ist eigentlich erstaunlich, dass sich Angela Merkel in dieser Welt behaupten konnte, dass ausgerechnet sie die höchste Belohnung eingeheimst hat, das Amt des Bundeskanzlers. Auf den ersten Blick sind ihre Voraussetzungen nicht gut im Vergleich mit den Konkurrenten. Denn die haben ihr politisches Leben meist schon mit 15 oder 16 Jahren begonnen. In diesem Alter sind sie den Jusos oder der Jungen Union beigetreten, von da an hat sich ihr Leben in Wahlkämpfen getaktet. Sie haben für die älteren Politiker aus ihrer Region Plakate geklebt, sich auf Marktplätzen die Beine in den Bauch gestanden, sie haben sich selbst Abstimmungen über Ämter in ihrer Organisation gestellt. Das nervöse, unbarmherzige Leben hat für sie früh begonnen, der Rausch der Siege, die Depression der Niederlagen, die Belohnungen und Bestrafungen durch Öffentlichkeit, erst lokal, dann regional. Sie haben Jurastudiert, weil das nützlich sein kann für den Beruf des Politikers, sie haben sich vom Leben der anderen entfernt, leben das politische Leben der Versammlungen, Gremiensitzungen, Hintergrundgespräche mit Journalisten. So wurden sie zu Politikmenschen, wurden Beobachtete, Bedeutende. Ihre Erfahrungen und Erlebnisse haben mit den Erfahrungen und Erlebnissen anderer Menschen kaum noch etwas zu tun. Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen, hat ein solches Leben geführt, auch andere aus dem Andenpakt, einem losen Bündnis von Unionspolitikern, die sich gegenseitig bei der Jagd nach Macht helfen wollten. Neben Koch waren dies vor allem Christian Wulff, Franz Josef Jung, Peter Müller und Günther Oettinger. Es war klar, dass einer von ihnen einst Bundeskanzler werden sollte.
Dann fiel die Mauer, und eine junge Frau mit kurzen Haaren wurde Bundesbürgerin und Mitglied der CDU. Sie war, scheinbar, kein bisschen auf ein Leben als Politikerin vorbereitet. Sie war im brandenburgischen Templin aufgewachsen, Tochter eines Pfarrers, der von Hamburg in die DDR übergesiedelt war, im Auftrag der evangelischen Kirche. Sie hatte in Leipzig Physik studiert,
Weitere Kostenlose Bücher