Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ein paar Engel bleiben stehen und mustern uns, vor allem die Krieger. In einigen Gesichtern sehe ich Wiedererkennen aufflackern, gefolgt von tiefem Entsetzen. Was auch immer Uriel für eine Kampagne gegen Raffe am Laufen hat – jetzt wird sie noch einmal ordentlich befeuert. Raffe und ich sehen aus wie ein dämonisches Kampagnenposter auf zwei Beinen. Ich mache mir Sorgen, wie man mit ihm verfahren wird, falls wir diesem Wahnsinn entkommen.
Ich versuche, nach meiner Familie Ausschau zu halten, aber da ich mich immer noch nicht bewegen kann, ist es schwer, etwas zu erkennen.
Ein paar der Engel entfernen sich von der Eingangstür und scheinen es in Kauf zu nehmen, schlimmstenfalls im Inneren des Hotels eingesperrt zu werden. Wahrscheinlich wollen sie zu den Aufzügen, um durch den Schacht hinauf ins Gewölbe zu fliegen und von dort auf einem anderen Weg nach draußen zu gelangen. Es verschafft mir Genugtuung, zu sehen, wie sich die Party buchstäblich in Nichts auflöst, wie sich die Engel ihre elegante Kleidung vom Leib reißen und um ihr Leben rennen.
Was von den Eingangstüren noch übrig war, fliegt als Splitterregen in die Luft.
Danach klingt alles gedämpft. Der Boden ist über und über mit zerborstenem Glas bedeckt, was einigen der Leute, die noch immer in Abendgarderobe, aber mit nackten Füßen unterwegs sind, schwer zusetzt.
Ich will zu den Türen rennen und schreien, dass wir Menschen sind. Dass sie mit dem Schießen aufhören sollen, damit wir wie Geiseln im Fernsehen hier rauskönnen. Doch selbst wenn ich dazu in der Lage wäre, glaubt nicht eine Zelle meines Körpers daran, dass die Widerstandskämpfer in ihrem Angriff innehalten, nur damit wir freikommen. Die Tage, in denen man alles daran gesetzt hat, Leben um ihrer selbst willen zu retten, sind schon seit Wochen vorbei. Menschenleben sind zum billigsten aller Güter geworden – mit einer Ausnahme: Die Engel liegen wie Puppen neben Menschen über den Boden verstreut.
Wir dringen ins Innere des Gebäudes vor. Man lässt uns viel Platz.
Die Fahrstuhllobby ist ein einziger Teppich aus weggeworfenen förmlichen Jacketts und zerrissenen Frackhemden. Ohne Kleider scheinen Engel besser fliegen zu können, selbst wenn sie ihnen auf den Leib geschneidert wurden.
Über uns ist die Luft von Engeln erfüllt. Von den majestätischen, sich spiralförmig nach oben windenden Flügen ist nichts mehr zu sehen, stattdessen flattern sie wild mit den Schwingen.
Unser zersplittertes Spiegelbild fliegt über die Überreste einer zerborstenen Spiegelwand, die die Szene noch chaotischer erscheinen lässt. Mit seinen Dämonenflügeln und dem toten Mädchen im Arm dominiert Raffe die Lobby, während er durch den Tumult gleitet.
Ich erhasche einen Blick auf mein Spiegelbild. Obwohl es sich anfühlt, als hätte man mir die Kehle herausgerissen, kann ich den roten Fleck, wo mich der Stachel durchbohrt hat, kaum sehen. Ich hatte blutige Striemen erwartet, doch stattdessen sieht es nicht schlimmer aus als ein gewöhnlicher Insektenstich.
Trotz des Durcheinanders erkenne ich langsam ein Mus ter. Die Engel fliehen in die eine Richtung und die Mehrzahl der Menschen in die andere. Wir folgen dem Menschenstrom, und die Menge öffnet sich wie ein Reißverschluss vor uns.
Wir treten durch eine Schwingtür in eine riesige Küche, voll ausgestattet mit Edelstahl und Haushaltsgeräten. Dunkler Rauch durchzieht die Luft. An den Wänden neben dem Herd wüten Flammen.
Der Rauch beißt im Hals und treibt mir die Tränen in die Augen. Eine besondere Folter, da ich weder husten noch blinzeln kann. Wenn mir der Rauch jedoch so zusetzt, muss das ein Zeichen sein, dass die Wirkung des Stichs allmählich nachlässt.
Am anderen Ende der Küche drängt die Menschenmasse durch die Tür herein, die normalerweise der Anlieferung von Waren vorbehalten ist. Viele drücken sich an die Wand, um uns durchzulassen.
Raffe bleibt stumm. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, doch die Menschen blicken ihn an, als wäre er der Teufel in Person.
Wieder erschüttert eine Detonation das Gebäude und lässt die Wände wanken. Hinter uns ertönen Schreie: »Raus hier! Raus hier! Es wird eine Gasexplosion geben!«
Wir stürzen durch die Tür in die kühle Nachtluft hinaus. Als wir in die Kampfzone hineinrennen, steigern sich die Schreie noch. Alle meine Sinne sind durchdrungen vom »rat-tat-tat« des Gewehrfeuers. Der beißende Geruch von überhitzten Maschinen und Pulverdampf sticht mir in die
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