Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Lungen.
Vor uns steht ein Konvoi von Lastwagen, umringt von einer kleinen Gruppe Zivilisten und Soldaten. Hinter ihnen erhasche ich einen Blick auf die Apokalypse.
Jetzt, da die Engel in die Lüfte aufgestiegen sind, hat sich die Schlacht gewendet. Noch immer befördern Soldaten Granaten aus dem Inneren ihrer Trucks hervor, doch das Gebäude steht bereits in Flammen, und die Granaten tragen nur noch mehr zum Lärm des allgemeinen Tumults bei.
Maschinengewehre feuern auf die fliegenden Feinde, doch damit riskieren die Menschen gleichzeitig, selbst von ihnen ins Visier genommen zu werden. Eine Gruppe Engel hievt einen Laster in die Höhe und lässt ihn auf andere niederkrachen, die versuchen, schnell davonzufahren.
Menschenströme ergießen sich in alle Straßen und Gassen, sie fliehen zu Fuß und in Autos. Engel schießen scheinbar willkürlich zur Erde hinunter und greifen Soldaten und Zivilisten an.
Raffe lässt sich nicht beirren, entfernt sich mit festen Schritten von dem Gebäude und hält auf die Menschenmenge bei den Trucks zu.
Was macht er denn da? Das Letzte, was wir jetzt noch brauchen können, ist ein Berserker von Zivilisten-Soldat, der mit seinem Maschinengewehr auf uns losknattert, weil er bei unserem Anblick nervös wird.
Die Soldaten scheinen Zivilisten in den hinteren Teil ihrer breiten Militärtrucks gezwängt zu haben. Widerstandskämpfer in Tarnanzügen knien mit gen Himmel gerichteten Pistolen auf den Ladeflächen. Sie schießen auf die über ihnen kreisenden Engel. Einer der Soldaten hat aufgehört, Befehle zu brüllen, und mustert uns. Das Scheinwerferlicht eines anderen Lasters gleitet über ihn hinweg und lässt mich einen Blick auf sein Gesicht erhaschen. Es ist Obi, der Anführer der Widerstandsbewegung.
Das Schießen und Schreien verebbt genauso schnell, wie es das auf einer Party tun würde, auf der man mit einem Polizeibeamten auftaucht. Alle erstarren und bli cken uns an. Die Gesichter glühen vom Widerschein des Feuers, das aus der Tür und den Fenstern der Küche hinter uns züngelt.
»Was zur Hölle ist das?«, fragt einer der Soldaten. Große Furcht liegt in seiner Stimme. Ein anderer bekreuzigt sich und scheint sich nicht darüber im Klaren zu sein, wie ironisch diese Geste bei einem Soldaten wirkt, der gegen Engel kämpft.
Ein dritter Mann richtet seine Pistole auf uns.
Die Soldaten auf der Ladefläche, offensichtlich allesamt ziemlich angespannt und entgeistert, richten ihre Maschinengewehre ebenfalls auf uns.
»Nicht schießen«, sagt Obi. Ein weiterer Scheinwerfer streicht über ihn hinweg, und ich sehe, wie die Neugier seine Angst bekämpft. Fürs Erste sorgt diese Neugier für unser Überleben, doch sie wird die Kugeln nur für eine Weile zurückhalten.
Raffe geht weiter auf die Gruppe zu. Ich will ihn anbrüllen, sofort stehen zu bleiben und dass er uns noch umbringen wird, aber natürlich kann ich es nicht. Er glaubt, ich sei schon tot, und seine eigene Sicherheit scheint ihm nichts mehr zu bedeuten.
Dann erblicke ich eine schreiende Frau. Natürlich, meine Mutter. Im Schein des Feuers leuchtet ihr Gesicht rot und offenbart das gesamte Ausmaß ihres Entsetzens. Sie schreit und schreit und wirkt, als würde sie nie wieder aufhören.
Ich kann mir genau vorstellen, wie wir in ihren Augen aussehen. Raffes Schwingen sind hinter ihm ausgespannt, als wäre er eine dämonische Fledermaus direkt aus der Hölle. Bestimmt hebt das Licht des Feuers ihre scharfen Sensen an den Seiten noch hervor. Hinter ihm lodert das Gebäude in bösartigen Flammen, die sich gegen den rauchschwarzen Himmel abheben und als zuckende Schatten über sein Gesicht geistern.
Meine Mutter weiß nicht, dass er seine Flügel wahrscheinlich nur deshalb geöffnet hat, damit er und ich uns nicht an ihnen schneiden. Für sie muss er aussehen wie eine der Kreaturen, die sie schon so lange verfolgen. Heute Nacht ist ihr schlimmster Albtraum wahr geworden. Hier ist er, der Teu fel. Er läuft aus den Flammen heraus und hält ihre tote Tochter im Arm.
Sie muss mich an meiner Kleidung erkannt haben, sonst hätte sie nicht so schnell zu schreien angefangen. Oder vielleicht hat sie sich die Szene auch schon so oft vorgestellt, dass sie keinen Zweifel daran hat, dass ich es bin, die in den Armen des Dämons liegt. Ihr Grauen ist so echt und so stark, dass ich innerlich erschaudere.
Eine der auf uns gerichteten Pistolen zuckt. Ich weiß nicht, wie lange sich die Soldaten noch zurückhalten werden. Mir wird
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