Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Ee
Vom Netzwerk:
wird klar, dass er mir nichts sagen kann, wenn ich die Blutungen nicht stoppe und ihn an einen Ort bringe, wo es etwas unwahrscheinlicher ist, dass die Gangs über ihn herfallen und ihn zu kleinen Trophäen zerhacken. Er zittert, wahrscheinlich hat er einen schweren Schock. Ich drehe ihn wieder auf sein Gesicht. Diesmal fällt mir auf, wie leicht er ist.
    Ich laufe zu dem umgekippten Wagen meiner Mutter. Auf der Suche nach ein paar Lumpen, mit denen ich ihn verbinden kann, wühle ich mich durch die Haufen. Ganz unten liegt ein Erste-Hilfe-Kasten. Ich zögere nur ungefähr eine Sekunde, bevor ich danach greife. Ich hasse den Ge danken, Erste-Hilfe-Utensilien an einen Engel zu verschwen den, der sowieso sterben wird, doch ohne seine Flügel sieht er so menschlich aus, dass ich es mir gestatte, eine Schicht steriler Verbände über seine Schnittwunden zu legen.
    Sein Rücken ist voller Blut und Schmutz, sodass ich nicht recht sehen kann, wie schlimm die Wunden wirklich sind. Aber das ist egal, beschließe ich, wenn ich ihn nur lange genug am Leben erhalte, dass er mir sagen kann, wo sie Paige hingebracht haben. Ich wickle die Lumpen streifen fest um seinen Körper und versuche dabei, so viel Druck auf die Verletzungen auszuüben wie nur möglich. Ich weiß nicht, ob man einen Menschen mit zu festen Verbänden umbringen kann, doch ich weiß, dass sich der Tod durch Verbluten schneller einstellt als auf jede andere Art.
    Während ich arbeite, spüre ich die Blicke all der unsichtbaren Augen in meinem Rücken. Die Gangs werden annehmen, dass ich gerade dabei bin, Trophäen aus dem Körper herauszuschneiden. Wahrscheinlich wägen sie ab, ob die anderen Engel zurückkommen und ob noch Zeit ist, mir die Stücke zu entreißen. Ich muss den Engel fertig verbinden und hier wegschaffen, bevor sie zu unverfroren werden. In meiner Hast schnüre ich ihn wie eine Stoffpuppe zusammen.
    Ich schnappe mir Paiges Rollstuhl. Der Engel ist erstaunlich leicht für seine Größe, und es kostet mich viel weniger Anstrengung, ihn in den Stuhl zu setzen, als ich erwartet hätte. Wenn man so darüber nachdenkt, ergibt das natürlich einen Sinn. Mit 20 Kilo fliegt es sich leichter als mit 200.
    Aber zu wissen, dass er stärker ist als alle Menschen und gleichzeitig weniger wiegt, erwärmt mich nicht unbedingt für ihn.
    Ich mache eine Riesenshow daraus, ihn auf den Stuhl zu hieven, ich ächze und strauchle, als hätte er ein unglaubliches Gewicht. Ich will, dass unsere Zuschauer denken, er sei genauso schwer, wie es den Anschein hat, denn daraus könnten sie folgern, dass ich stärker und tougher bin, als ich mit meinen knapp-ein-Meter-sechzig aussehe.
    Entdecke ich da die Andeutung eines amüsierten Grinsens auf seinem Gesicht?
    Was auch immer es ist – es verwandelt sich in eine schmerzverzerrte Grimasse, als ich ihn auf den Stuhl fallen lasse. Er ist zu groß, um einigermaßen bequem hineinzupassen, aber es wird schon gehen.
    Schnell greife ich nach den seidigen Flügeln, um sie in eine mottenzerfressene Decke aus dem Wagen meiner Mutter zu hüllen. Die schneeweißen Federn sind wunderbar weich, vor allem im Vergleich zu der groben Decke. Sogar jetzt, in einem Moment voller Panik, bin ich versucht, über die glatten Daunenfedern zu streichen. Wenn ich den Zahlungswert jeder einzeln ausgerissenen Feder nehme, so könnten wir uns – und zwar wir alle drei – von nur einem einzigen Flügel ungefähr ein Jahr lang ernähren, und wir hätten sogar noch ein Dach über dem Kopf.
    Vorausgesetzt natürlich, dass ich uns drei wieder zusammenbringe.
    Rasch wickle ich die Flügel ein. Es kümmert mich nicht allzu sehr, ob die Federn dabei abknicken. Ich ziehe kurz in Erwägung, einen der Flügel hier auf der Straße liegen zu lassen. Vielleicht würde das die Gangs motivieren, gegeneinander zu kämpfen, statt mich zu jagen. Doch wenn ich den Engel irgendwie dazu bringen will, mit ein paar Informationen rauszurücken, sind die Flügel einfach zu wichtig. Ich greife nach dem Schwert, das genauso leicht ist wie die Federn, und stecke es ohne große Umstände in die Sitztasche des Rollstuhls.
    So schnell ich kann, laufe ich die Straße hinunter und schiebe den Engel in die Nacht hinein.

6
    Der Engel stirbt.
    Er liegt auf dem Sofa, Verbände hüllen seinen Oberkörper ein, und er sieht wirklich exakt wie ein Mensch aus. Schweißperlen sammeln sich um seine Augenbrauen. Wenn ich ihn berühre, spüre ich eine fiebrige Hitze, so als wäre sein Körper vor

Weitere Kostenlose Bücher