Angelglass (German Edition)
sie laut: »Ich brauche ein paar Minuten, um mich anzuziehen. Bring ihn dann doch bitte in mein Zimmer, Karla.«
Petey steuert wieder auf das Sofa im hinteren Teil des Wohnzimmers zu, Cody nimmt seine verwaiste Gitarre zur Hand und Padraig genehmigt sich einen großen Schluck Guinness. Als Karla mich aus dem Wohnzimmer führt, scheint sich alles wieder normalisiert zu haben, so, als wäre ich niemals da gewesen.
»Versuch, nicht zu blinzeln«, sagt Jenny, als sie mir mit einem weißen Licht in die Augen leuchtet. Sie trägt einen unförmigen weißen Kittel und blickt in meine Pupillen. Sie hat bereits meinen Blutdruck gemessen, meine Reflexe getestet und meinen Kopf nach Beulen und Verletzungen abgetastet. Es gibt keine. Sie schaltet die Untersuchungslampe aus. Die Umrisse verschwimmen vor meinen Augen, nehmen dann aber sowohl die Gestalt von Jenny an, die sich etwas in einem kleinen Buch notiert, als auch von Karla, die aus einem der kunstvollen Bleiglasfenster gedankenverloren in den Garten starrt. Jennys Zimmer ist unordentlicher als ich vermutet habe; Regale voller gebundener Bücher, ein von Papieren und Akten übersäter Schreibtisch, ein ungemachtes Bett, ein großer, mit Klamotten vollgestopfter Schrank.
»Und?«, fragt Karla, während sie sich vom Fenster abwendet. Jenny schnalzt mit der Zunge und seufzt. »Rein körperlich ist er in guter Verfassung. Anfang oder Mitte zwanzig. Keine Spuren von Verletzungen, keine Beulen, Puls und Blutdruck in Ordnung.« Sie sieht mir tief in die Augen. »Er weiß nur nicht, wer er ist.«
Karla steht auf. »Also ins Krankenhaus?«
Jenny zuckt mit den Schultern. »Ich weiß wirklich nicht, wozu das gut sein sollte. Da würde er bloß herumliegen. An und für sich ist mit ihm alles in Ordnung. Letzten Endes würde ihn die Britische Botschaft nach Hause fliegen müssen und er käme dort in ein Krankenhaus. Vermutlich.« Jenny zögert und sieht mich an. »Du bist doch Engländer, oder?«
Ich breite die Hände aus und sage nichts.
»Außerdem gäbe es da …«, fährt Jenny fort und blickt Karla eindringlich an, »das Problem, dass … äh. Na, du weißt schon. Das würde alles viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen …«
»Und was jetzt?«, fragt Karla.
Jenny kaut vorsichtig auf dem Stift herum, mit dem sie sich Notizen gemacht hat. »Ich denke, es ist Zeit für eine Hausbesprechung.«
Während die fünf im Wohnzimmer eine Konferenz abhalten, bitten sie mich, in der Küche zu warten. Trotzdem kann ich durch die geschlossene Tür alles hören. Sie überlegen, ob sie mich bleiben lassen oder nicht. Jenny hält das für eine gute Idee, zumal die Krankenhäuser ohnehin nicht viel für mich tun könnten. Cody beschuldigt sie, mich nur deshalb behalten zu wollen, damit sie weitere Experimente an mir ausführen kann – ein Gedanke, der mir ganz und gar nicht gefällt –, aber alle fangen an zu lachen und schreien durcheinander. Padraig schlägt vor, ich sollte vielleicht irgendeine Art von Gehirnscan durchführen lassen, und Jenny versichert, so etwas durch ihre Verbindungen viel schneller organisieren zu können, als wenn ich in einem Krankenhausbett herumliege. Petey möchte wissen, ob ich Schlagzeug spielen kann. Karla sagt merkwürdigerweise gar nichts.
Schließlich gibt es irgendeine Abstimmung. Während ich vorgebe, die Rückseite einer Spaghettipackung zu studieren, öffnet Karla die Küchentür. »Äh … könntest du bitte mal für ’ne Minute reinkommen?«
Ich folge ihr ins Wohnzimmer. Jenny ergreift das Wort. »Also, wir haben uns unterhalten und haben, äh, abgestimmt … und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir dir für eine Zeit lang ein Zimmer anbieten wollen, wenn du das möchtest. Ich bin Medizinstudentin und kann sicher meine Beziehungen spielen lassen, wenn du irgendeine Behandlung brauchst. Wir halten das für eine gute Idee.«
Ich überhöre Codys dezentes Schnaufen. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist wirklich ein nettes Angebot. Gibt es denn überhaupt Platz für mich?«
»John ist verreist«, erwidert Karla. »Er kommt erst in ein paar Wochen zurück. Wir haben entschieden, dass du für eine Weile in seinem Zimmer wohnen kannst, wenn du Lust dazu hast.«
Nachdem ich in diesem Graben aufgewacht war, hatte ich mir bisher tatsächlich noch gar keine Gedanken über meine weitere Zukunft gemacht. »Ich denke … ja. Vielen Dank. Danke euch allen.«
Padraig klopft mir wieder auf die Schulter und strahlt. »Dann also
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