Angels - Meine Rache waehrt ewig
verlorengegangenen Beweismittel. Und erst die Zeit, die er als Freiwilliger damit verbrachte, den Sturmopfern zu helfen und die Aufräumarbeiten nach der Überflutung zu übernehmen! Er bezweifelte, dass es unter den Polizeibeamten jemanden gab, der nicht an Kündigung gedacht hatte. Viele hatten tatsächlich den Dienst quittiert und so für eine Unterbesetzung gesorgt, obwohl eher mehr engagierte Officers gebraucht wurden als weniger.
Jay verurteilte niemanden dafür. Viele Officers mussten selbst mit dem Verlust ihres Hauses und ihrer Familie fertig werden.
Auch er hatte eine Veränderung gebraucht. Es waren nicht nur die horrenden Überstunden gewesen, die er geschoben hatte. Den Schrecken des Hurrikans mitzuerleben, mit anzusehen, wie die Stadt darum kämpfte, wieder auf die Beine zu kommen, während die FBI -Agenten gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigten, war schlimm genug gewesen. Doch zu wissen, dass so viel mühsam über die Jahre zusammengetragenes Beweismaterial im wahrsten Sinne des Wortes hinweggespült worden war, hatte zentnerschwer auf ihm gelastet. So eine Verschwendung. So ein Aufwand, die Dinge wiederzubeschaffen.
Mit dreißig war er bereits ausgebrannt.
Und irgendetwas hatte ihn zu dieser Reise nach Baton Rouge geführt.
Waren es die Plünderer gewesen, die verzweifelt oder kriminell genug waren, um ihren Vorteil aus der Tragödie zu ziehen?
Die Opfer, die in ihren eigenen Häusern oder in Pflegeheimen in der Falle gesessen hatten?
Die zögerliche Unterstützung durch die Regierung?
Der um ein Haar erfolgte Untergang seiner geliebten Stadt?
Oder lag es daran, dass sein eigenes Zuhause dem tosenden Wind und der hereinbrechenden Flut nicht standgehalten hatte und mitsamt seinem ganzen Besitz vollständig zerstört worden war?
Konnte er die Katastrophe für seine gescheiterte Affäre mit Gayle verantwortlich machen? War er schuld daran, dass ihre Beziehung zerbrochen war?
Jay stellte dem Hund in einem alten Topf frisches Wasser hin, dann öffnete er sein Bier. Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und starrte durch das schmutzige, regennasse Fenster in den Garten. Eine Fledermaus schoss durch die Äste einer Magnolie. Die Dunkelheit senkte sich zusehends herab und erinnerte ihn daran, dass er noch Arbeit zu erledigen hatte.
Er drehte vorsichtig den Kopf hin und her und hörte seine Wirbel knacken. Dann ging er hinüber ins zweite Zimmer, das noch in einem furchtbaren Rosaton gestrichen war. Dort hatte er einen Schreibtisch, eine Lampe und einen kleinen Aktenschrank aufgestellt. Ein Hundekorb stand in der Ecke. Bruno, der einen alten, halb zerkauten Knochen aus Rohleder gefunden hatte, begann heftig mit den Zähnen daran zu arbeiten. Jay nahm noch einen Schluck Bier, dann stellte er die Flasche ab. Er öffnete sein Notebook und drückte den Einschaltknopf. Mit einem Summen startete der PC . Sekunden später rief Jay seine E-Mails ab.
Zwischen Spam und Mails von Kollegen und Freunden entdeckte er eine Nachricht von Gayle. Sein Magen zog sich zusammen, als er sie mit einem Klick öffnete und die knappen, scherzhaft gemeinten Worte überflog. Er konnte nichts Lustiges daran finden, was ihn nicht weiter überraschte. Sie hatten sich darauf geeinigt, Freunde zu bleiben, aber wer führte hier wen an der Nase herum? Es funktionierte nicht. Ihre Beziehung war beendet. War schon lange vor Katrina am Ende gewesen.
Er antwortete nicht auf die E-Mail, denn das war genauso überflüssig wie der Diamantring, der in seiner Büroschublade in New Orleans lag. Bei dem Gedanken daran wurden seine Lippen schmal. Was Ringe betraf, hatte er nicht viel Glück. Vor Jahren hatte er seiner Angebeteten auf der Highschool eine Art Freundschaftsring geschenkt. Doch Kristi Bentz hatte sich gleich nach ihrem Wechsel aufs All Saints College mit einem Teaching Assistant zusammengetan. Was für eine Ironie! Als er Jahre später Gayle einen Ring überreichte, nahm sie ihn an und begann, ihr Leben mit Jay –
sein
Leben – zu planen, bis er schließlich das Gefühl hatte, eine Schlinge um den Hals zu haben, die sich jeden Tag ein bisschen fester zusammenzog, so dass er kaum noch Luft zum Atmen hatte. Seine Haltung hatte Gayle mächtig gewurmt, und sie war immer besitzergreifender geworden. Sie hatte ihn ständig angerufen, war auf seine Freunde eifersüchtig gewesen, auf seine Kollegen, sogar auf seine verdammte Karriere. Und sie hatte ihn nie vergessen lassen, dass er eigentlich einmal Kristi Bentz
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