Angels - Meine Rache waehrt ewig
Forensik und Kriminologie für wissensdurstige junge Köpfe schon schaden?
Er schaltete einen Gang zurück, lenkte seinen Pick-up von der Hauptstraße in die vertrauten Seitenstraßen, wo der Regen durch die kahlen Zweige der Bäume prasselte und gerade die Straßenlaternen angingen. Wasser spritzte unter seinen Reifen auf, und nur wenige Fußgänger trotzten dem Sturm. Jay hatte das Fenster einen Spalt heruntergekurbelt, und Bruno, eine Mischung aus Pitbull, Labrador und Bloodhound, presste seine große Nase an die schmale Ritze.
Als sie die Stadtgrenze von Baton Rouge passierten, ging Jay vom Gas. Die Stimme von Johnny Cash hallte in der Fahrerkabine des Toyota wider.
»My momma told me, son …«
Jay bog in die holperige Einfahrt eines Hauses. Es war ein winziger Bungalow mit zwei Zimmern, der einst seiner Tante gehört hatte.
»… don’t ever play with guns …«
Er schaltete das Radio aus und stellte den Motor ab. Der Bungalow, ein Teil von Tante Colleens Nachlass, war von seinen dauernd miteinander streitenden Cousinen Janice und Leah zum Verkauf angeboten worden. Die Schwestern hatten ihm erlaubt, so lange dort abzusteigen. Im Gegenzug sollte er ein paar kleinere Reparaturen durchführen, zu denen Janice’ nichtsnutziger Möchtegern-Rockstar-Gatte nicht in der Lage war.
Mit gerunzelter Stirn griff Jay nach dem Matchbeutel und dem Notebook und sprang aus dem Wagen. Dann ließ er den Hund hinaus und wartete. Bruno schnupperte und hob sein Bein an einer der Lebenseichen im Vorgarten. Jay schloss den Toyota ab, klappte den Kragen hoch, um sich vor dem Regen zu schützen, und eilte über das unkrautüberwucherte Pflaster in Richtung Haustür, die in der hereinbrechenden Dunkelheit von einer Außenlampe erleuchtet wurde. Der Hund folgte ihm auf den Fersen, wie immer, seit Jay ihn vor sechs Jahren angeschafft hatte – der einzige Welpe eines Sechserwurfs, den niemand wollte. Die Mutter war die Hündin seines Bruders gewesen, ein reinrassiges Bloodhound-Weibchen, die, als sie heiß war, nicht erst auf ein ebenfalls reinrassiges Bloodhound-Männchen gewartet hatte. Stattdessen hatte sie sich kurzerhand einen Weg aus dem Zwinger gebuddelt und sich mit dem netten Köter einen halben Kilometer die Straße runter zusammengetan. Das Resultat war ein Wurf Welpen, der keinen einzigen Cent wert war. Die Hunde entpuppten sich aber alle als treue Gefährten. Vor allem Bruno mit seiner ausgezeichneten Nase und seinen schlechten Augen. Jay bückte sich und tätschelte den Hund, der seinen Kopf liebevoll gegen Jays Hand drückte. »Na komm, dann lass uns den Schaden mal ansehen.«
»Folsom Prison Blues« hallte in seinem Kopf wider, als er die Haustür aufschloss und mit der Schulter dagegendrückte.
Das Haus roch muffig. Unbewohnt. Die Luft abgestanden. Trotz des starken Regens öffnete er zwei Fenster. Die letzten drei Wochenenden hatte er hier verbracht, die Zimmer gestrichen, die Fliesen in der Küche und dem einzigen Badezimmer neu verfugt und die Terrasse von Schmutz und Schutt befreit. Nun standen Terrakottakübel voller Pflanzen auf den frisch gestrichenen Holzdielen – statt einer verrosteten Waschmaschine, in der er auf ein leeres Hornissennest gestoßen war.
Trotzdem war er noch lange nicht fertig. Es würde Monate dauern, um das Haus in Schuss zu bringen. Jay stellte seine Taschen in dem kleinen Schlafzimmer ab und ging in die Küche. Ein uralter Kühlschrank brummte auf dem brüchigen Linoleum, das er noch ersetzen musste. Im Kühlschrank lag neben etwas vertrocknetem Käse ein Sixpack Lone-Star-Bier, von dem nur noch eine Flasche übrig war. Er zog sie an ihrem langen Hals heraus. Es war seltsam, dachte er, dass ausgerechnet Baton Rouge sein Hafen außerhalb von New Orleans geworden war, die Stadt, in der er aufgewachsen war und gearbeitet hatte.
Waren es die Nachwirkungen von Katrina, die ihm den Lebenssaft entzogen hatten? Das kriminaltechnische Labor in der Tulane Avenue war von dem Sturm zerstört und die Arbeit, die dort geleistet worden war, sowohl auf verschiedene Gemeinden und private Unternehmen als auch auf das kriminaltechnische Labor der Louisiana State Police in Baton Rouge verteilt worden. Mitunter arbeiteten sie in Trailern, die die Federal Emergency Management Agency, die nationale Koordinationsstelle der Vereinigten Staaten für Katastrophenhilfe – kurz FEMA –, zur Verfügung gestellt hatte. Es war ein Albtraum gewesen: die Überstunden, der Frust über die
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