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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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tatsächlich ist, für das Moment, das die Mode antreibt: Kleider machen Leute. 18 Ein Restbestand der Klassenmode hatin der Männerkleidung überdauert: Ein Körper, der verwaltet, plant, denkt, organisiert, Profit macht, trägt Anzug, ein Körper, der zupackt, dagegen einen Blaumann. Ein dynamisches Modell für Klassenmobilität wäre diese eher an die ständische Ordnung gemahnende Kleidung nicht. In der Frauenmode, in der schon im 19. Jahrhundert, um an den von Walter Benjamin zitierten Egon Friedell zu erinnern, die Dame, die die Kokotte spielt, der Modetypus war, kann die Repräsentation der Klasse durch die Mode keine Rolle spielen. Ob man daraus schließen möchte, dass die Frauen geborene Demokratinnen seien, bleibe dahingestellt.
    Der Dynamik der Mode wird man auch nicht gerecht, wenn man in schlichter Umkehrung des von Soziologen postulierten Trickle-down-Effekts, der davon ausgeht, dass die unteren Klassen die oberen imitieren, weil sie mehr scheinen wollen, als sie sind, annimmt, dass die Mode nicht auf die Straße hinabsinke, sondern von der Straße in die oberen Schichten aufsteige. Zur Untermauerung der These des Trickle-up-Effekts wird gerne Yves Saint Laurent Rive gauche angeführt. Vom linken Ufer der Seine, das damals als intellektuelles Bohème-Ufer galt, habe Saint Laurent wie schon im Namen programmatisch festgehalten schwarze Lederjacken gegen Nadelstreifenanzug und Hermès-Seidentuch gesetzt, wie sie das bourgeoise, reiche Establishment auf der rechten Seite, dem rive droite trug und trägt. Als letztes Beispiel für den Aufstieg der Straße zum Parnass der Mode werden die blutverschmiert geschminkten Gesichter mit blauen Augen der Models von Yamamoto angeführt, die noch heiß vom Straßenkampf angeblich die Coolness der lower class in die Mode der upper class brächten. Doch auch dieses Beispiel würde ich nicht im soziologischen Terminus von Klasse interpretieren. Vielmehr scheint es mir hier um ein Phänomen zu gehen, das der Universalisierung des Anzugs von Anfang an ein Stachel im Fleisch war. Der bürgerlichen Aufhebung des Körpers im Anzug nämlich wirkt nicht nur der weibliche Körper, sondern auch der männliche Körper der arbeitendenKlassen in seiner konkreten Fleischlichkeit, am besten mit Schweiß, Blut und Tränen, entgegen.
    Die spezifische Dynamik der Mode in der Moderne hängt an der Verfasstheit der demokratischen, republikanischen Körperschaften. Sie verdankt sich dem Umgang mit den Korporationen, die der uniformierende Anzug als Kleidungsstück der Moderne par excellence herstellt, indem er den männlichen Körper sublimiert. Es geht um Mimikry, Zersetzung, Umspielung, Enteignung, Aneignungen, Umwidmungen dieser Körperschaften. Die Dynamik der Mode wird weder vom Begehren, mehr zu scheinen, als man ist – also vom Aufschneiden des dressing up – noch von der Coolness des dressing down bestimmt – und, wie wir gesehen haben, auch nicht von einer Tendenz der Angleichung der Geschlechter. Das Crossdressing dient, im Gegenteil, einer Heraustreibung der Geschlechterdifferenz, indem die Frauen sich die männliche Haltung vor der Revolution, die der Zurschaustellung nämlich, aneignen. Als die Mode nicht mehr die Stände streng teilt, macht sie deswegen noch längst nicht alle Menschen zu Brüdern, wie Schiller es in seiner Ode an die Freude hoffte. Mode bringt im weiblichen Crossdressing das Verhältnis der Geschlechter, der Klassen und der Rassen anders ins Spiel. Überspitzt kann man sagen, dass die weibliche Mode zwischen Dandy und Transvestit schwankt. In beidem geht es um einen Überschuss, den die Männerkleidung wie der Teufel das Weihwasser meiden muss, um nicht in den Geruch des Weibischen zu kommen. Allen Wert der Welt legt sowohl der Dandy als auch der Transvestit auf seine Kleider, auf die der richtige Mann keinen Gedanken verschwenden soll. Beide zeichnet die verruchte Aneignung des männlichen, vormodernen Zeigens. Unwiderstehlich wird Mme Bovary erst, als sie in einem den Körper eng fassenden, »Amazone« genannten Reitkleid wie ein Mann hoch zu Pferde erscheint. Unbeschreiblich weiblich ist Marlene Dietrich rauchend in makellos geschneiderten Hosenanzügen. Genauso unbeschreiblich weiblich sind die als Transvestiten verkleideten Frauen – wie Chanel schimpfte – in denüppig verschwenderischen Rauschröcken und der Wespentaille von Dior. Die unwiderstehliche Faszination der Mode verdankt sich dem Durchbrechen der Gender-Normen, die dissonant

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