Angezogen - das Geheimnis der Mode
gegeneinander geführt werden. Und sie verdankt sich dem Zurücklassen moderner, männlicher selbstbeherrschter und -bestimmter Subjektivität in der Entäußerung an den Glanz des Oberflächlichen.
Wir haben das Glück, dass es einen Moment in der Geschichte gab, in dem die Archäologie der Mode der Moderne als eine tatsächlich postfeudale Mode praktisch offen zutage liegt. An zwei Figuren lässt sich der Umbruch exemplarisch fassen. Die eine ist Marie Antoinette, letzte Tochter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia und als Ehefrau Ludwigs XVI . französische Königin. Die andere ist Louis-Philippe d’Orléans, auch Philippe Egalité genannt, bourbonischer Prinz, der als Nachfahre eines jüngeren Bruders des Königs für die Thronfolge nicht infrage kam.
War die Reform der Männermode ein im Mainstream durchschlagender Erfolg, gegen den so subtil wie konstant Randgruppen rebellierten – Incroyables, Macaroni, Dandys, Teds, Mods, Punks, Gothics etc. –, so war die bürgerliche Reform der Frauenmode, die die Rhetorik der Rhetoriklosigkeit anpries, nicht wirklich erfolgreich. Trotz vielbeschworener naturbelassener Authentizität konnten und wollten die Kleider der Frauen sich nicht vom Stigma des Modischen befreien. Es wollte und will der weiblichen Mode bis heute nicht gelingen, endlich modern, nüchtern, funktional zu werden. In den frivolen Rüschen, den dysfunktionalen Ornamenten, die dringend modernisierend überholt werden müssten, spukt die alte Aristokratie weiter, effeminiert dekadent. Die Frau verheddert sich – es ist den Modernisten ein einziges Ärgernis – in eitlen Nichtigkeiten. Setzten die Vorreiter der Moderne alles daran, sie vom Stigma des Modischen als Inbegriff des Unmodernen, nicht Reformierbaren, Unvernünftigen, Unzweckmäßigen, Überflüssigen, bloß Ornamentalen, schlicht Exzessiven zu befreien, so huldigen die anderen unbeirrt dem Idol der Weiblichkeit. Mode wird mit dem sinnlosen Hang zu oberflächlichen Frivolitäten und krankhafter Sinnlichkeit zur Domäne des Weiblichen schlechthin; ernsthafte Männer und emanzipierte Frauen haben Wichtigeres zu tun. Die moralischen Bedenken, die den Bemühungen zur Reform der Kleidung entspringen, reißen besonders in den protestantisch geprägten Ländern nicht mehr ab. Verzweifelt wird um die Geburt der neuen, der endlich modernen Frau gerungen.
Klassisches Beispiel für dieses Schwanken der Frauenmode zwischen »moderner, natürlicher, selbstbewusster Frau« und »künstlich hergerichteter Diva« ist das Duell Chanel versus Dior. Es trifft sich gut, dass auf der Seite der Künstlichkeitder von Nietzsche stigmatisierte Anachronismus der Mode ins Spiel kommt. Dior nämlich knüpft nach dem Zweiten Weltkrieg an die Entwürfe des House of Worth zwischen 1858 und 1895 an. Charles Frederick Worth, der von London nach Paris kam und bald von der Kaiserin Eugénie über Elisabeth von Österreich bis zu Sarah Bernhardt und der Gräfin von Castiglione die ganze Welt anzog, machte sich als erster Designer der Moderne einen Namen und Paris zum Mekka der Mode, in das die ganze Welt pilgerte. Der New Look, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Stellung der Stadt als Zentrum der Mode festigte, war tatsächlich alt. Er gilt als Schulbeispiel für die die weibliche Mode charakterisierende, verschobene Wiederkehr des Bekannten und restaurierte mit seinen kurvenreichen Blütenfrauen all das, was die Frau der Belle Epoque ausgemacht und die moderne Frau abgelegt hatte: Bustiers, Korsetts, Hüftpolster und statt der die Röcke stützenden Gerüste meterweise Unterröcke. Gegen den flachen, trainierten Bauch der modernen Frau kam sogar das embonpoint des 18. Jahrhunderts wieder.
Kaum hatte Chanel durch eine Übersetzung des Herrenanzugs in die weibliche Mode endlich der funktional angezogenen Frau zum Durchbruch verholfen – mit den aufgesetzten Taschen zeigte das Chanelkostüm durchaus militärische Elemente –, kam Dior mit seinen Rauschröcken, Pfennigabsätzen und – horribile dictu – dem so ungesunden wie einengenden Korsett (Abb. 10a/b, 11). Selten ist eine Mode so begeistert einmütig aufgenommen worden; für ein Kleid von Dior kam wieder die ganze Welt nach Paris. Der wütende Ausbruch Chanels, die in dieser alten neuen Weiblichkeit nichts als die Verwirklichung von Tuntenphantasien sah, hat daran nichts geändert. Die Entwicklung in Richtung Moderne, Funktionalität und Natürlichkeit war um Lichtjahre zurückgeworfen. Es war ein Schlag
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